Geschichten von der Bibel
haben.«
»Eben«, sagte Abel. »Vielleicht können wir sie für uns arbeiten lassen.«
»Aber das werden sie nicht tun«, sagte Adam. »Willst du sie fragen?«
»Ich brauche sie nicht zu fragen«, sagte Abel. »Sie erzählen mir auch so alles, was ich wissen will. Wäre es nicht viel bequemer für uns, erst den Himmel zu beobachten, ob wir irgendwo Vögel sehen, die sich über einer Stelle sammeln, als blind in der Gegend herumzurennen in der Hoffnung, zufällig ein krankes Tier zu finden?«
Das war eine Revolution in der Jagd! Von nun an gab es öfter Fleisch. Und Adam und Eva schimpften nicht mehr mit Abel, wenn er wieder einmal einfach nur dasaß und vor sich hin starrte.
Kain aber war sehr stolz auf seinen Bruder.
»Es ist Nachdenken, was er macht«, sagte er leise. »Man schwitzt dabei innerlich.«
Nun gingen Adam und Abel öfter auf die Jagd. Und es kam vor, daß sie viele Tage von zu Hause weg waren.
Eines Tages jagten Adam und Abel weit draußen in der Steppe, wo nur wenige Bäume wuchsen, da sahen sie wieder die Vögel am Himmel, und sie rannten hin und fanden einen Rehbock, der eben verendet war. Sie begannen, den Kadaver mit scharfen Steinen zu zerlegen, da hörten sie hinter sich ein tiefes Knurren. Es war ein Löwe. Auch er wollte das Fleisch.
Es war nicht das erste Mal, daß sie von starken Tieren vertrieben wurden, von Löwen, Leoparden, Hyänen, Wölfen. Vater und Sohn hatten ausgemacht, sich bei Gefahr zu trennen. Um den Feind zu verwirren. Aber natürlich auch, damit es im schlimmsten Fall nur einen von ihnen erwischte.
Adam lief auf einen Baum zu und schwang sich in die Äste. Abel rannte hinaus in die offene Steppe. Der Löwe verfolgte Abel, und Adam wußte, sein Sohn wird diesen Wettlauf nicht gewinnen können. Denn der Löwe ist schneller als der Mensch. Traurig und ohne Hoffnung stieg er von dem Baum und machte sich auf den Heimweg, um der Mutter und dem Bruder die böse Nachricht zu überbringen.
Abel aber rannte um sein Leben. Da stand ihm plötzlich ein goldener Widder im Weg.
»Weg da! Weg da!« rief Abel. »Ein Löwe verfolgt mich! Du bist schneller als er, du kannst ihm vielleicht entkommen!«
Der goldene Widder konnte sprechen, und er kannte Abels Namen, und er sagte: »Schwing dich auf meinen Rücken, Abel! Setz dich auf mich, klammere dich fest an meinem Fell, ich werde dich retten!«
Abel hatte keine Zeit für Fragen. Er tat, was ihm der Widder befahl, und auf dem Rücken des Widders entkam er dem Löwen.
Als sie in Sicherheit waren, fragte Abel: »Ich habe noch kein Tier gesehen, das sprechen kann. Warum kannst du das?«
Der Widder sagte: »Siehst du, Abel, ich komme aus dem Paradies, aus dem Garten Eden. Weißt du, was das Paradies ist?«
»So ungefähr«, sagte Abel.
»Deine Eltern sind daraus vertrieben worden.«
»Ja, sie haben manchmal so etwas erzählt. Sie können sich aber selber nicht mehr besonders gut daran erinnern.«
Der Widder sagte: »Siehst du, Abel, die Hälfte der Tiere mußte damals mit deinen Eltern nach draußen gehen. Die andere Hälfte durfte bleiben. Meine Familie ist geteilt worden. Ein Teil meiner Familie ist draußen, ein Teil ist drinnen im Garten Eden. Wir drinnen machen uns Sorgen um die draußen. Man hört schreckliche Dinge von draußen. Weil ich dich vor dem Löwen gerettet habe, sollst du dich um die Meinen kümmern.«
Abel sagte: »Wo ist deine Familie?«
Da lief der Widder und sammelte seine Familie um sich und führte sie zu Abel. Es war eine große Schafherde, gut genährt, viele Muttertiere, kräftige Böcke, hoffnungsfrohe Lämmer. Sie alle blickten zu Abel auf. Der brach sich einen Ast von einem Baum und schnitt ihn sich zurecht. Das war sein Schäferstab.
»Ich will auf deine Familie aufpassen«, sagte er zu dem goldenen Widder.
Und der goldene Widder sagte: »Ich werde wieder in den Garten Eden zurückkehren.«
Und Abel führte seine Herde nach Hause.
Zu Hause herrschte Trauer. Mutter, Vater und Bruder meinten, Abel sei von dem Löwen zerrissen worden. Um so größer war die Freude, als der verloren Geglaubte an die Tür pochte, und um so größer war die Verwunderung, als sie sahen, daß er nicht allein war.
»Was ist das?« fragte Kain.
»Das ist meine Herde«, sagte Abel. »Ich bin von nun an nicht mehr Jäger, ich bin Hirte.«
Sein Bruder Kain umarmte ihn. Er hatte sehr um Abel geweint.
Mit dieser Herde, die ihm Gott geschenkt hatte, begründete Abel die Schafzucht. Und er schwitzte nun noch weniger als
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