Geschichten von der Bibel
eine.
»Das ist auch wieder wahr«, sagte Henoch. »Aber du könntest die Handtücher gegen einen Satz Suppenschüsseln tauschen, die kannst du ihm an den Kopf werfen. Ich weiß da zufällig eine Frau, die hat viel zu viele Suppenschüsseln und kein einziges Handtuch, und wenn du bis morgen wartest, dann will ich gehen und mit ihr verhandeln …«
»Ach, hau ab, du gehst uns auf die Nerven!« sagten da die beiden Streitenden.
Sie hatten die Lust am Schlagen verloren. Und am Ende reichten sie einander die Hand und reichten auch Henoch die Hand und kamen sich wie Idioten vor.
Die Leute sagte: »Der Henoch, der! Wenn der in der Nähe ist, dann! Wenn der sich um etwas kümmert, dann klappt’s.«
Dieser Henoch fiel Gott ins Auge.
Von Gott haben wir schon lange nicht mehr gesprochen. Wo war er? Was hat er gemacht? Hat er sich vom Menschen und seiner Welt abgewandt? Wollte er einen neuen Versuch starten? Tatsächlich gibt es Vermutungen in diese Richtung. Wir werden noch darauf zurückkommen.
Gott, sagen die einen, habe den Menschen in seiner Welt eine Weile lang nach eigener Maßgabe leben lassen. Er habe zugesehen. Aber dann sei ihm der Wandel der Menschen zu bunt geworden. Sagen die einen. Andere meinen, der Wandel sei ihm gar nicht zu bunt geworden, Gott habe sich lediglich geärgert, daß die Menschen vergessen hätten, die Schöpfung zu bejubeln. Und vergessen hätten es die Menschen, weil sie die Geschichten vergessen hätten. Weil sie eben nicht mehr wußten, wie die Welt geworden war. Weil es Mode geworden war, nicht zurückzuschauen.
Gott dachte sich, den Menschen fehlt ein Prophet.
Gott blickte sich um. Und sein Auge fiel auf Henoch. Ausgerechnet auf ihn. Henoch sollte der erste Prophet werden. Ausgerechnet der!
Gott begegnete Henoch. Damals begegnete er den Menschen noch so, wie er war. Als er später dem Abraham begegnete, schlüpfte er in das fleischliche Kleid eines Menschen. Weil die Menschen den Anblick Gottes später nicht mehr ertragen konnten. Zur Zeit des Henoch konnten sie den Anblick Gottes noch ertragen.
»Ich bin Gott«, sagte Gott zu Henoch. »Glaubst du mir?«
Henoch sah, was er sah. Und er dachte an seine Devise, die zweite. Und er glaubte.
Er fragte: »Gibt es einen Grund, warum du mir erscheinst?«
»Ja«, sagte Gott. »Ich brauche deine Hilfe.«
»Was soll ich tun?«
Gott sagte: »Ich habe dich ausgewählt, weil du ein nüchterner Mann bist. Du sollst den Menschen erzählen, was ich Herrliches erschaffen habe. Damit sie wieder an mich denken. Ich werde dir die Schöpfung erklären, und du sollst den Menschen von den Wundern der Schöpfung erzählen.«
»Werden sie mir glauben?«
»Ja.«
»Und warum ausgerechnet mir?«
»Sie kennen dich als einen Mann, der durch nichts zu begeistern und durch nichts aus der Ruhe zu bringen ist. Wenn jemand wie du plötzlich in Begeisterung und prophetische Unruhe verfällt, dann werden sich die Menschen denken, da muß etwas wirklich Großes dahinterstecken, und sie werden ihm glauben.«
Henoch war ein Händler – ja, einer, der sich weder so ohne weiteres begeistern noch so ohne weiteres aus der Ruhe bringen ließ –, und er fragte: »Was ist mein Lohn?«
Gott hat das gefallen, denn diese unerschütterliche Nüchternheit war ja der Grund gewesen, warum er Henoch ausgewählt hatte.
Gott sagte: »Was willst du haben?«
Henoch hatte schon die ganze Zeit auf die Unterarme Gottes geblickt, dort waren diese tätowierten Schriftzeichen, die ja schon seit Urzeiten, schon seit vor der Erschaffung des Menschen, auf Gottes Unterarmen waren.
Henoch fragte: »Was ist das da auf deinen Armen?«
Gott sagte: »Das sind Schriftzeichen.«
»Ich weiß nicht, was Schriftzeichen sind«, sagte Henoch. »Fang deine Erklärung der Welt damit an, daß du mir diese Schriftzeichen erklärst.«
Und Gott erklärte Henoch die Schrift.
»Das heißt«, sagte Henoch, »wenn man sich etwas nicht gut merken kann, dann braucht man es nicht mehr mühsam auswendig zu lernen, man kann es sich aufschreiben und dann ablesen?«
Gott sagte: »Ja, das hast du verstanden, das ist gut.«
Für einen Händler war das natürlich eine wunderbare Erfindung, und Henoch sagte: »Diese Schriftzeichen hätte ich gerne. Die möchte ich als Lohn haben dafür, daß ich den Menschen deine Schöpfung erzähle.«
Gott war damit einverstanden.
Da nahm Gott den Henoch mit und führte ihn ganz zurück in die Vergangenheit. Weit zurück in die Zeit, als die Menschen noch gar nicht waren.
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