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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Paradies vertrieben worden bin …«
    Adam sprach langsam, wie kein Mensch auf der Welt langsam sprach. Enos verlor die Geduld.
    »Gut, wir können nicht mehr zurück ins Paradies«, sagte er. »Aber das will ich ja auch gar nicht. Ich will nur wissen, wie wir gemacht worden sind. Das mit der Seele zuerst, bitte! Kurz, prägnant, ohne Randgeschichten!«
    Adam dachte lange nach, sehr lange, einen Tag, zwei Tage, drei Tage.
    Dann antwortete er: »Das Leben ist allein Gottes Macht und allein Gottes Geheimnis.«
    Enos warf die Arme in die Luft.
    Enos grub die Leiche des Abel aus. Abel war die einzige Leiche, die es gab. Und: Die Verwesung war noch nicht erfunden. Der Leichnam war unversehrt. Enos wollte den Körper aufschneiden und hineinschauen.
    »Weil ich der Gescheiteste bin auf der Welt und ich herausgefunden habe, daß mir niemand eine Antwort geben kann, weil niemand mehr weiß als ich!«
    Er besorgte sich ein Messer. Messer waren bis dahin nur verwendet worden, um die Früchte des Feldes zu teilen und zu schälen. Das Messer wehrte sich in Enos’ Hand. Es sprang ihm von den Fingern, und es begann zu sprechen.
    Es sagte: »Ich will das nicht tun! Ich weiß, was du vorhast. Du willst mich in diesen Leib hineinstoßen, du willst ihn mit meiner Hilfe aufschneiden.«
    Enos sagte: »Ja, das will ich, weil ich wissen will, wie uns Gott gemacht hat.«
    Das Messer: »Ich werde verdammt sein, wenn ich das tue, auch wenn ich gar nichts dafür kann, weil du mich zwingst, werde ich trotzdem verdammt sein. Ich will aber nicht verdammt sein.«
    Aber Enos hielt das Messer mit beiden Händen fest und schnitt damit in den toten Körper des Abel.
    Tatsächlich wurde das Messer verdammt. Von diesem Augenblick an war es nicht nur ein Gegenstand des häuslichen Gebrauchs mehr, sondern auch eine Waffe.
    Enos studierte das Innere des Menschen. Schnitt jede Faser auf. Verfolgte die Bahn jeder Ader. Wog das Gehirn. Wog die Leber und die Nieren und maß die Länge des Darms.
    Er machte sich erneut an die Arbeit, Menschen zu formen. Er dachte: Vielleicht liegt es daran, daß ich den falschen Lehm genommen habe. Er machte sich auf den Weg, suchte Lehm. Wurde ein Lehmkenner. Ein Besessener.
    Eines Tages kam Enos an eine Mauer, groß, mächtig, ihre Krone sah aus, als sei sie ein Gebirge. Wir wissen es: Es war die Mauer zum Paradies. Enos ging an der Mauer entlang, und er kam zum Tor des Paradieses. Aber er war ein verblendeter Mensch, er sah auf das Tor, aber er sah nichts. Er legte die Hand auf das Tor, aber er spürte nichts. Er erkannte nicht einmal die Mauer als eine Mauer. Er meinte, es sei ein Fels. Er verstand nichts mehr vom Paradies. Niemand mehr verstand etwas vom Paradies.
    Aber Enos verstand etwas von Lehm.
    Erinnern wir uns: Außen, neben dem Tor zum Paradies, lag jener Haufen Lehm, der vom ersten Adam stammte. Jener Haufen, auf den Samael gespuckt hatte, bevor er vom Erzengel Michael in die Hölle gestoßen worden war.
    Aus diesem Lehm baute Enos seinen Menschen.
    Und genau in dem Augenblick, als sich Enos über seinen Lehmmann beugte, um ihm eine Seele in die Nase zu blasen, schlüpfte Samael, der Teufel, an Enos’ Mund vorbei in den Erdkörper.
    Und Samael sagte: »Du hast mich gerufen?«
    Enos fiel um.
    Als er sich wieder gefaßt hatte, fragte er: »Habe ich dich gemacht?«
    »Nicht ganz«, sagte Samael aus dem Mund des Lehmmenschen. »Nicht ganz. Aber ich will dir behilflich sein. Was soll ich tun?«
    »Mach einen Schritt«, sagte Enos.
    »Das kann ich nicht«, sagte Samael.
    »Dann heb die Hand!«
    »Das kann ich auch nicht.«
    »Dann spuck mich an!«
    »Geht nicht.«
    »Was kannst du eigentlich?«
    »Aus dem Maul von dem da sprechen, das kann ich. Mehr kann ich nicht.«
    »Das heißt«, sagte Enos, »einen Menschen im eigentlichen Sinn habe ich nicht gemacht?«
    »Im eigentlichen Sinn nicht«, sagte Samael. »Aber überleg: Seit so langer Zeit mühst du dich ab. Ohne jeden Erfolg. Weißt du, daß man über dich lacht? In deinem Alter! Schau deinen Bruder Henoch an! Aus ihm ist etwas geworden. Ein Geschäftsmann. Er ist nicht so begabt wie du. Aber ihn respektiert jeder. Dich lachen alle nur aus. Früher bist du jemand gewesen, dann hast du dir diesen Vogel in den Kopf gesetzt, daß du Leben machen möchtest. Das kann niemand. Jeder weiß das. Nur du willst es nicht wissen. Deshalb lacht man dich zu Recht aus. Also überleg: Mit einer Lehmpuppe, die sprechen kann, kannst du viel Eindruck machen. Das ist mehr als

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