Geschichten von der Bibel
Lamech, er hatte seinen Vorfahren Kain getroffen, und er hatte damit einen Fluch auf sich und seine Familie geladen, einen Fluch, der sieben Generationen dauern würde.
So sehr erschrak der blinde Lamech, daß er die Hände zusammenschlug und ausrief: »Um Gottes willen, ich habe Kain getötet!«
Aber weil der unglückliche Zufall es so wollte, war der Kopf seines Sohnes Tubal-Kain zwischen seine Hände geraten, und die Pranken eines großen Jägers sind furchtbar, und der Kopf des Tubal-Kain war zerschmettert.
Schreiend stolperte Lamech nach Hause zu seinen zwei Frauen und sagte: »Einen Mann habe ich getötet, und einen Knaben habe ich erschlagen.«
Und er schlüpfte eilig unter die Decken zu seinen zwei Frauen und sagte: »Wir müssen einen Nachfahren zeugen! Jetzt gleich! Schnell! Auf der Stelle!«
Und eine der Frauen wurde schwanger und brachte einen Sohn zur Welt und gab ihm den Namen Noah.
Das war auch die Zeit, als Adam und Eva starben …
DIE GOTTESSÖHNE
Von einem depressiven Gott – Vom großen Gemetzel – Von den Giganten – Von Asaels Mitleid – Von Schemchasais Liebe – Von Istahars Wunsch zu fliegen – Von einem guten und einem bösen Ende
In der Bibel heißt es, die Gottessöhne seien herabgestiegen vom Himmel.
Wir wissen nicht, wer diese Gottessöhne sind. Die Bibel gibt uns keine Auskunft darüber. Aber die Mythen, Sagen und Märchen erzählen, daß diese Wesen übriggeblieben waren aus der Zeit vor Gottes Schöpfung.
Diese Gottessöhne sagten eines Tages zu Gott: »Wir werden unter den Menschen aufräumen, werden die meisten zertreten, das steht fest, jedenfalls die bösen Menschen, und dann werden wir die Welt bevölkern.«
Gott fragte: »Meint ihr, ihr paßt besser in diese Welt?«
»Ja«, sagten die Gottessöhne. »Gib uns Gelegenheit, es zu beweisen!«
Was war los mit Gott? Hatte er resigniert? War alles anders gelaufen, als er es sich vorgestellt hatte? Hatte er das Interesse an seiner Welt verloren? Oder hatte er nur das Interesse an den Menschen verloren?
»Dann geht«, sagte er zu den Gottessöhnen. »Seht zu, daß ihr es besser macht!«
»Wir werden es besser machen«, sagten die Gottessöhne. »Wir kennen die Menschen gut. Wir haben lange genug von oben zugeschaut.«
Ja, so war es: Diese sogenannten Gottessöhne hatten die ganze Zeit von oben zugeschaut, wie es unten auf der Erde zuging. Und bei dieser Gelegenheit haben sie sich in die Menschenfrauen verliebt. Sie wollten es mit den Menschenfrauen treiben. Das ist die Wahrheit, und diese Wahrheit steht auch in der Bibel.
»… und sie nahmen sich von ihnen Frauen, wie es ihnen gefiel …«
Hat Gott das nicht gewußt? Aber er weiß doch alles. Hatte er keine Kraft mehr, um sich gegen die Gottessöhne zu stellen?
Diese Bibelstelle hat immer wieder Verwunderung ausgelöst, Verwirrung gar. Es ist merkwürdig, aber man wird den Eindruck nicht los, daß Gott zu diese Zeit in eine Depression verfallen ist. Eine göttliche Depression.
Nun flogen also die Gottessöhne vom Himmel herab. An ihren Schulterblättern waren riesige Flügel, goldene Flügel mit Azur und Türkis durchwirkt, silbern umrahmt, mit Rubinen gepunktet. Die Anführer hießen Schemchasai und Asael. Und es war ein Gemetzel unter den Menschen.
»Nur die Männer!« befahlen Schemchasai und Asael. »Die Welt braucht keine Männer! Tötet sie alle!«
Die Menschen waren nicht auf Töten eingestellt. Seit Kain hatte es keinen Mörder mehr gegeben. Lamech hatte nur aus Versehen getötet. Man hat aufeinander eingeschlagen, das schon, aber man hat sich gegenseitig nicht erschlagen. Die Jäger hatten auf Tiere geschossen, niemals auf Menschen. Und Schemchasai und Asael und die anderen Gottessöhne sahen aus wie Menschen, wie große, schöne Menschen. Den Männern zitterten die Hände, wenn sie den Bogen spannten und den Pfeil auf die Eindringlinge richteten.
Schemchasai und Asael gingen mit der unfaßbaren Brutalität von Gleichgültigen vor. Sie köpften die Männer, wie Bauernbuben im Vorbeigehen Disteln köpfen. Nicht Haß war ihr Antrieb. Der Bauer haßt das Gras ja auch nicht, das er mäht.
Schemchasai und Asael befahlen, daß sich die Menschenmänner auf den Plätzen der Stadt versammeln sollten. Dann gingen sie durch die Reihen und ließen ihre Schwerter kreisen. Die Frauen nahmen sie mit sich.
Es heißt, Asael habe Augenblicke des Mitleids gehabt. Er blickte auf die weinenden Frauen. Sah ihre Tränen. Fing die Tränen mit dem Finger auf.
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