Geschichten von der Bibel
Studenten erst ein Ei in die Hand und dann einen schweren Eisenstab.
»Wenn du den Eisenstab so fest drückst wie das Ei, dann fällt er dir aus der Hand. Wenn du das Ei aber so fest drückst wie den Eisenstab, dann platzt es. Du weißt das. Aber woher weiß das deine Hand?«
Die Studenten warteten darauf, daß Enos sich selbst die Antwort gab.
»Ich weiß die Antwort nicht«, sagte Enos. »Noch weiß ich die Antwort nicht!«
Bald wurde dem Enos die Lehranstalt zu eng. Es wurde ihm zu blöd, das überlieferte Wissen rauf- und runterzubeten. Er wollte sich nicht mehr mit den törichten Fragen seiner Studenten herumschlagen. Woher kommen wir? Das war die Frage aller Fragen. Und nur diese Frage interessierte Enos.
»Die Schule ist der Geist in Trauer!« rief er aus und stampfte davon.
Keiner versuchte, ihn zu halten. Man grinste.
Von der ganzen Schöpfung Gottes hat sich Enos nur für den Menschen interessiert.
Er fragte jeden, den er auf der Straße traf: »Woraus, denkst du, sind wir gemacht worden?«
»Schwere Frage«, sagte jeder.
»Denkt nach!« sagte Enos.
»Aus Feuer?« fragten die einen.
»Aus Wasser!« behaupteten die anderen.
»Aus Luft vielleicht«, spekulierten dritte.
Die meisten aber sagten: »Man weiß es nicht. Man wird es nie wissen. Und es ist auch völlig egal. Kannst du mit diesem Wissen Handel treiben? Kannst du von diesem Wissen abbeißen? Bringt dir dieses Wissen eine schöne Frau? Nein? Was ist dieses Wissen denn wert?«
Enos zog durch die Welt. Fragend. Grübelnd. Forschend. Zweifelnd und verzweifelnd.
Nach vielen Jahren besuchte Enos seinen Vater Seth.
Auch ihn fragte er: »Woraus sind wir gemacht, was ist das, was ich angreife, wenn ich meinen Arm angreife?«
Seth antwortete: »Soweit mir erzählt worden ist, sind wir aus Erde gemacht worden.«
»Aus Dreck?«
»Eher Lehm …«
»Und wer hat uns aus Lehm gemacht?«
»Gott hat uns aus Lehm gemacht«, sagte Seth. »So ist es mir jedenfalls erzählt worden von meinem Vater und von meiner Mutter.«
»Und wer Gott ist, das weißt du auch?«
»Ich dachte einmal, ich wüßte es«, gab Seth kleinlaut zur Antwort. »Aber das war ein Irrtum. Ich weiß tatsächlich nicht, wer Gott ist.«
Ich brauche nicht zu wissen, wer Gott ist, dachte Enos bei sich. Es genügt mir, wenn ich weiß, wie er den Menschen gemacht hat. Den Menschen, den wollte Enos nämlich nachmachen. Das war seine Ambition.
Also hat Enos Erde genommen, hat sie geformt. Hat den Menschen nachgebildet. Er war der erste Bildhauer. Vor Enos ist niemand auf die Idee gekommen, den menschlichen Körper nachzubilden. Aber Enos tat es nicht aus künstlerischen Motiven. Bald standen und lagen und saßen jede Menge Erdmenschen in seinem Garten herum.
Enos ging wieder zu seinem Vater Seth und sagte: »Ich habe es probiert. Ich habe einen Menschen aus Lehm gemacht, aber der hat sich nicht gerührt. Dann habe ich noch einen gemacht und noch einen und noch einen. Sie liegen, stehen, sitzen alle in meinem Garten herum. Bewegen sich nicht, reden nicht, atmen nicht. Was fehlt da?«
Seth sagte zu seinem Sohn: »Ja eben, Gott hat seinem Erdklumpen eine Seele eingeblasen.«
»Eine Seele? Was ist das?«
»Das weiß wieder kein Mensch. Durch die Nase hat er ihm angeblich die Seele in den Leib geblasen.«
Enos ging zurück in seinen Garten und probierte auch das. Preßte seine Lippen auf die Lehmnasen. Blies. Aber es nützte nichts. Die Erdmenschen blieben Erdmenschen, die Lehmklumpen blieben Lehmklumpen.
Enos fragte weiter, bohrte weiter, bedrängte seinen Vater: »Ich will es wissen: Wie ist es gemacht worden?«
Seth sagte: »Laß mich doch damit in Frieden! Als ich so alt war wie du, wollte ich auch wissen und wissen und wissen. Heute weiß ich nur eines: Am besten ist es, man setzt sich am Morgen auf die Bank hinter dem Haus und steht erst am Abend auf. Und dann legt man sich ins Bett. Das ist meine Weisheit. Frag deinen Großvater! Frag Adam. Er weiß es.«
Enos machte sich auf den Weg zur Hütte des alten Adam. Adam war damals gute achthundert Jahre alt.
Enos fragte den Alten, der größer war als jeder andere Mann auf der Welt: »Erinnerst du dich?«
Adam sagte: »Ich erinnere mich sehr wenig. Wenn ich mich daran erinnere, an das Paradies erinnere, dann möchte ich alleine sein. Oder mit meiner Frau Eva zusammen sein. Es ist eine sehr schöne Erinnerung, aber es ist auch eine sehr schmerzliche Erinnerung. Schmerzlich deswegen, weil ich aus eigener Schuld aus diesem
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