Geschichten von der Bibel
legte sich Josef hin und schlief ein.
Es war ein sehr kurzer Schlaf, er erwachte und war verwirrt, wußte erst nicht, wo er war. Seine Brüder lachten ihn aus.
Aber er sagte zu ihnen: »Bitte, ich möchte euch meinen Traum erzählen.«
»Wir müssen wieder an die Arbeit«, sagten sie.
»Bitte«, sagte Josef, »es ist ein kurzer Traum. Aber er ist wichtig. Wichtig für mich, aber auch wichtig für euch.«
»Du träumst, und das soll wichtig für uns sein?« sagte Gad.
Josef überhörte den gehässigen Unterton und begann zu erzählen: »Wir alle waren in meinem Traum versammelt, alle Söhne Jakobs, auch Benjamin. Wir haben alle gemeinsam auf dem Feld gearbeitet …«
»Daran kannst du sehen, daß Träume nicht die Wahrheit sagen!« ätzte Dan.
Josef überhörte es. »Wir haben den Weizen zu Garben gebunden. Ich war der erste, der seine Weizengarbe aufgestellt hat. Meine Weizengarbe blieb aufrecht stehen. Dann habt ihr eure Weizengarben in einem Kreis um meine herum aufgestellt. Und plötzlich … plötzlich neigten sich eure Weizengarben vor der meinen. Das habe ich geträumt. Meine Garbe stand aufrecht, eure verneigten sich vor der meinen.«
Da erhob sich Schimeon und sagte: »Interessant! Das hast du also geträumt. Interessant! Und das wolltest du uns unbedingt erzählen?«
Josef sagte: »Ja, ich dachte, das muß ich euch unbedingt erzählen.«
»Und du dachtest, das interessiert uns, das wollen wir unbedingt wissen, was mit unseren und mit deiner Garbe in deinem Traum passiert ist?«
»Ja«, sagte Josef.
»Und jetzt wirst du uns sicher auch gleich die Deutung dazu liefern«, sagte Gad. Auch er war aufgestanden. »Oder sollen wir den Traum uns selber deuten?«
Josef schlug die Augen nieder und sagte nichts.
Gad sagte: »Du bist also der Meinung, der Traum spricht für sich?«
Josef sagte: »Ja, wenn ich es genau bedenke, spricht der Traum für sich.«
»Wenn du es genau bedenkst, so. Darf ich dennoch einen Deutungsversuch machen? Soll der Traum vielleicht bedeuten, daß wir uns vor dir verbeugen werden?«
Josef sagte: »Ja.«
Da wollte Gad auf Josef losgehen, aber Ruben hielt ihn zurück.
»Tu ihm nichts!« rief er. »Auch wenn dieser Traum so eitel klingt und so widerlich ist und uns demütigt, es ist ein Traum. Josef hat ihn sich nicht ausgedacht. Der Mensch kann nichts für seine Träume.«
In dieser Nacht träumte Josef wieder, und wieder wollte er, daß seine Brüder und diesmal auch sein Vater von seinem Traum erführen.
Als sie alle beim Frühstück saßen, sagte Josef: »Ich habe wieder geträumt.«
Da schlugen einige der Brüder das Brot auf den Tisch und wollten aufstehen.
Aber Jakob sagte: »Keiner verläßt den Tisch, bevor ich ihn verlasse. Also, Josef, erzähl uns deinen Traum!«
»Er wird meinen Brüdern wieder nicht gefallen«, sagte Josef, »aber ich muß ihn erzählen, denn Gott hat mir diesen Traum geschickt. Ich wurde in meinem Traum in den Himmel gehoben, und ich war glänzend angetan mit einem wunderschönen Gewand. Ich habe gestrahlt heller als die Sonne, und ich war in der Mitte des Himmels, und die Sonne, der Mond und elf Sterne umgaben mich und huldigten mir.«
»Und was bedeutet dieser Traum?« fragte Jakob.
Da schlug Josef wieder die Augen nieder.
»Deutet sich auch dieser Traum von selbst?« fragte Gad.
Josef nickte.
»Hast du etwas dagegen, wenn ich ihn deute?«
Josef schüttelte den Kopf.
»Du bist die Mitte, wir sind die Gestirne, die sich vor dir verbeugen und dir huldigen. Habe ich recht?«
»Hat Gad deinen Traum richtig gedeutet?« fragte Jakob.
»Ja«, sagte Josef.
Da schlug nun Jakob das Brot auf den Tisch. Und er erhob sich, stapfte in sein Zelt und befahl Josef zu sich.
Jakob saß da, schüttelte den Kopf, seufzte, schüttelte wieder den Kopf, kicherte schließlich in sich hinein, schüttelte wieder den Kopf und sagte: »Und wenn du so einen Traum gehabt hast, dann darfst du das nicht sagen, Josef! Verstehst du das denn nicht? Man darf nicht alles sagen, was einem in den Kopf kommt, mein Liebling.«
Mehr sagte Jakob nicht.
Dann waren die Brüder lange fort von zu Hause. Sie waren mit ihren Schafherden unterwegs. Jakob wartete, und sie kamen nicht, sie blieben viele Tage aus, und sie blieben viele Wochen aus.
Jakob sagte zu Josef: »Josef, mach du dich auf den Weg zu deinen Brüdern. Such sie! Ich bin zu alt. Benjamin ist zu jung. Sieh nach, was mit ihnen ist! Sag ihnen, sie sollen zurückkommen, ihr Vater sorgt sich. Aber erzähl ihnen
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