Geschichten von der Bibel
sagte: »Fünf Jahre, vielleicht sechs oder sieben.«
Tamar sagte: »Darf ich bei dir bleiben in dieser Zeit? Sorgst du für mich?«
Jehuda sagte: »Wenn du dich mit keinem anderen Mann einläßt, dann sorge ich für dich.«
Tamar versprach es.
Eines Abends, Jehuda kam vom Feld, ging er im Hurenviertel vorbei, da saß eine sehr schöne, aufreizend geschminkte Prostituierte auf der Mauer.
Sie sprach den Jehuda an: »Willst du mit mir gehen?«
Sie gefiel dem Jehuda, und er sagte: »Ja!«
Sie sagte: »Hast du Geld?«
Jehuda sagte: »Nein, ich komme gerade vom Feld, aber ich kann dir ein Ziegenböcklein geben.«
Sie sagte: »Hast du es denn bei dir?«
Er sagte: »Nein, aber ich werde es dir bringen.«
»Wann?«
»Morgen.«
Sie sagte: »Gib mir ein Pfand.«
Jehuda gab ihr seine Bänder und sein Siegel, seine Gebetsriemen und seinen Stab. Dann ging er zu ihr in die Kammer und schlief mit ihr. Jehuda hatte die Prostituierte nicht erkannt, weil sie so kräftig geschminkt war. Es war Tamar, seine Schwiegertochter.
Tamar wurde schwanger von Jehuda, das war ihre Absicht gewesen, sie wollte ein Kind von ihm haben.
Jehuda, der von nichts wußte, sagte zu ihr: »Du hast dein Versprechen gebrochen, du mußt dafür bestraft werden.«
Er wollte sie töten. Da wies ihm Tamar die Pfänder vor, seinen Stab, seine Gebetsriemen, seine Bänder, sein Siegel. Da wußte Jehuda, daß er es gewesen war, der Tamar geschwängert hatte, und er ließ sie frei. Tamar brachte Zwillinge zur Welt.
Nach Jahren kehrte Jehuda der Stadt den Rücken und schloß sich wieder seinem Volk an. Viel hatte sich verändert. Eine bedrückte Stimmung herrschte. Josef war nicht mehr da.
»Was ist geschehen?« fragte Jehuda.
Man wollte nicht darüber sprechen. Es hieß, Josef sei gestorben, er sei von wilden Tieren zerrissen worden …
JOSEF UND SEINE BRUDER
Von einem, der meint, er sei etwas Besonderes – Von einem, der träumt und seine Träume deutet – Von einem, der so schön ist wie sonst keiner – Von einem, der in den Brunnen geworfen wird – Von einem zerrissenen, blutigen Kleid – Von einem Vater und einem Wolf
Was war geschehen? Was ist mit Josef geschehen? War er wirklich tot? Erst viel später, viel, viel später erfuhr Jehuda die Wahrheit …
Josef, der Sohn der Rahel, war in seiner Jugend nicht einfach gewesen. Oder besser: Es war nicht einfach gewesen, mit ihm auszukommen. Jedenfalls nicht für seine Brüder. Josef war immer überzeugt gewesen, daß er etwas Besonderes sei. Und er hat keine Gelegenheit ausgelassen, diese Überzeugung vor seinen Brüdern zu äußern: daß Gott ihn ausersehen habe, daß Gott etwas Großes mit ihm vorhabe. Josef war eitel, aber er war nicht eigentlich arrogant. Er gefiel sich. Aber er hielt es nicht für notwendig, sich aufzuspielen. Es spielt sich einer ja nur auf, wenn er mehr scheinen will, als er nach seiner eigenen Einschätzung ist. Josefs Selbsteinschätzung war überwältigend. Mit einem nur arroganten Menschen ist leichter auszukommen …
Außerdem: Josef war der Liebling seines Vaters. Jakob hatte so lange auf einen Sohn von Rahel gewartet! Josef wurde von Jakob bevorzugt – auf drastisch und offensichtlich ungerechte Art und Weise.
»Es sind genug Hände da für die Arbeit«, sagte Jakob. »Auch Josef muß arbeiten.«
»Wenn ich euch helfen kann, gern«, sagte Josef zu seinen Brüdern. »Aber wenn es nicht unbedingt sein muß, ist es mir auch recht.«
»Nein, nein, es muß nicht unbedingt sein!« hieß es da von seiten der Brüder.
Die Brüder waren schwere Arbeit gewohnt, und Josef, das hatte sich längst herausgestellt, war keine Hilfe, jedenfalls keine, die man sich wünschte. Die Brüder bestanden weiß Gott nicht darauf, daß Josef mit ihnen aufs Feld ging und dort seine gescheiten Theorien ausbreitete, seine Analysen ihrer Arbeit, was sie alles nicht ganz richtig machten und wie es besser gemacht werden könnte. Am meisten ärgerten sich die Brüder, weil Josefs Analysen meistens richtig, seine Ratschläge meistens fruchtbringend waren. Eigentlich immer … Das war ärgerlich für die Brüder! Ruben, der Älteste, war der einzige, der ihn bisweilen verteidigte.
Er sagte: »Josef ist ein Träumer, und ein Träumer sieht Dinge, die andere nicht sehen, das ist schon wahr.«
Ruben war ein Wohlmeinender. Die es nicht wohl meinten, sagten, es würde dem Josef nicht schaden, wenn ihm einmal einer eine aufs Maul haut, das kann nur seine Weltsicht glätten, und das kann nur
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