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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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bestand, schenkte Jakob dem Josef ein wunderschönes Kleid, ein Kleid, das seiner Frau Rahel gehört hatte. Es war nicht Rahels Hochzeitskleid, das nicht, nein, Jakob hatte es ihr ebenso ohne Anlaß geschenkt, wie er es nun ohne Anlaß an seinen Liebling weitergab. Mit wenigen Stichen war das Kleid umgeändert worden. Alle Farben mischten sich in Harmonie auf dem feinen, kühlen Stoff. Das Kleid war nicht überladen mit Schmuck, Jakob hatte damals Auftrag gegeben, es solle Rahels Schönheit unterstreichen und ihr nicht Konkurrenz machen.
    »Warum werde ich so reich beschenkt?« fragte Josef.
    »Weil ich es will«, sagte Jakob.
    »Und meine Brüder willst du nicht beschenken?«
    »Sei still!« sagte Jakob. »Ich habe das geträumt. Du bist derjenige, der die Träume deutet. Du bist derjenige, der immer behauptet, Träume seien Botschaften Gottes. Und ich habe eben geträumt, ich soll dir dieses Kleid schenken.«
    »Dann will ist es gern tragen«, sagte Josef.
    Habe ich erwähnt, daß Josef obendrein der schönste junge Mann war, der in Jakobs Volk je herangewachsen war? Ist Schönheit bei so viel Glück nicht eine selbstverständliche Zugabe? Aber Josefs Schönheit war so außerordentlich, daß viele behaupteten, es verhalte sich gerade umgekehrt: nämlich daß Glück bei so viel Schönheit die zwingende Folge sei. Wie auch immer – Josef war schön.
    Und er wollte seine Schönheit zeigen. Kann man das einem Heranwachsenden verübeln? Er wusch sich, ölte sein Haar, daß es glänzte, rieb sich mit Duftölen ein und zog sein neues Gewand über. Und dann? Ja, dann ging er hinaus aufs Feld zu seinen Brüdern. Die dort arbeiteten. Schwitzten. Schmutzig waren. Derbe Kleider trugen.
    »Seid ihr nicht stolz, daß ihr einen so schönen Bruder habt?« fragte Josef.
    Eine unverschämte Frage, die gar nicht unverschämt gemeint war. Aber irgend etwas fehlte diesem Josef. Er hatte einen psychischen Defekt, das steht für mich außer Frage. Man könnte sagen: Josef war ein unfaßbarer Egomane, einer, der sich nicht einmal vorstellen konnte, daß jemand nicht in derselben Art und Weise von ihm begeistert war, wie er selber von sich begeistert war. Aber diese Einschätzung ist nicht richtig. Denn Josef war gar nicht von sich begeistert. Ich wiederhole mich: Er legte es weder auf Lob noch auf Bewunderung an.
    Ich denke mir, Josef war sich selbst immer ein wenig fremd. Er staunte über sich selbst. War Josef ein Psychopath? Wahrscheinlich. Aber was heißt das schon? Er staunte über sich, er hielt sich für ein Instrument Gottes. Ohne Eifer, ohne Gier, ohne jeden Ehrgeiz spürte er, daß Gott mit ihm seine Pläne hatte. Sollte er sich und damit Gott verleugnen, nur damit er nicht Neid und Ärger und Haß provozierte? Gott hat mich auserwählt, dachte er – wußte er! –, er hat einen aus unserem Volk, einen der Söhne Jakobs auserwählt. Mich. Ist das nicht Grund genug, daß Jakobs Volk stolz auf mich ist?
    »Seid ihr nicht stolz, daß ihr einen so schönen Bruder habt?«
    So stand er vor seinen schwitzenden, keuchenden, schmutzigen Brüdern und drehte sich.
    »Halt dein Maul!« zischte Gad.
    »Verschwinde!« brummte Dan in seinen Bart.
    Sebulon nickte sarkastisch vor sich hin. Warum hat unser Vater nicht auf mich gehört, dachte er, warum um Himmels willen hat er nicht mit Josef gesprochen. Ruben, der Älteste, sah, daß Schimeon und Levi sich Blicke zuwarfen, daß sie ihre Arbeitsgeräte weglegten und in die Hände spuckten.
    »Josef«, sagte Ruben, nahm ihn beim Arm, zog ihn mit sich beiseite, »Josef, du kleiner Narr! Was tust du da? Natürlich sind wir stolz darauf, daß du so schön bist. Natürlich freuen wir uns, daß du so ein schönes Kleid hast. Aber kannst du dir denn nicht vorstellen, daß es vielleicht besser gewesen wäre, du hättest uns dein neues Kleid erst am Abend gezeigt, wenn auch wir etwas schöner aussehen, gewaschen, gekämmt, sauber angezogen?«
    »Aber ich hätte am Abend nicht anders ausgesehen als jetzt«, sagte Josef.
    »Du nicht, nein«, seufzte Ruben, »aber wir! Trotzdem, Josef, geh jetzt nach Hause, schau dich noch eine Weile im Spiegel an, und dann leg das Kleid wieder ab!«
    Josef tat, was Ruben sagte.
    Am nächsten Tag besuchte er wieder seine Brüder auf dem Feld. Diesmal trug er das schöne Kleid nicht mehr. Er setzte sich in den Schatten und sah ihnen bei der Arbeit zu. Dann war Mittagszeit, und die Brüder setzten sich nun ebenfalls in den Schatten, sie aßen gemeinsam, und nach dem Essen

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