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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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keine Träume! Sei höflich zu ihnen!«
    Josef versprach es. Aber als er dann seinen Esel packte, sah Jakob, daß er das schöne Kleid der Rahel ins Gepäck geschnürt hatte.
    »Wozu brauchst du dieses Kleid, Josef?« fragte er. »Willst du auf ein Fest gehen? Du sollst aufs Feld gehen, deine Brüder suchen!«
    Aber Josef packte das Kleid nicht aus. Als Josef die Zelte seines Vaters hinter sich gelassen hatte, hielt er an und zog das Kleid an. Warum hat er das getan? Um vor den Brüdern zu prahlen? Nein, um sich selbst in seiner Schönheit zu empfinden. So jedenfalls deutet es Thomas Mann in seinem großen Roman über unseren Helden.
    Josef war allein, und er hatte das Gefühl, ein Auserkorener zu sein, und dieser Empfindung wollte er Ausdruck verleihen, indem er sich schmückte. Er wollte ja das Kleid ausziehen, wenn er auf seine Brüder traf. Dann war er so in Gedanken versunken, daß er seinen Vorsatz vergaß. So kam er zu dem Platz, wo die Brüder lagerten. Sie sahen ihn, ehe er sie sah.
    »Da kommt unser Träumer«, sagte Ascher.
    »Ich habe unseren Vater gewarnt«, sagte Sebulon.
    »Du meinst, unser Traumdeuter kommt«, sagte Schimeon.
    »Will uns wohl einen neuen Traum erzählen«, sagte Isachar.
    »Neugierig, als was wir uns diesmal vor ihm niederwerfen«, sagte Naftali.
    »Wie eine Hure aus der Stadt sieht er aus«, sagte Levi.
    »Huren soll man wie Huren behandeln«, sagte Gad.
    »Die dreckigste Hure ist mir lieber als der«, sagte Dan.
    Ruben schwieg.
    Noch bevor Josef ein Wort gesagt hatte, zerrten ihm die Brüder das Kleid vom Leib und zerrissen es in Fetzen.
    Josef weinte und rief: »Warum tut ihr das? Ich bin gekommen, weil mein Vater …«, und schnell korrigierte er sich, »… weil unser Vater Sorge um euch hat.«
    Dieser Versprecher brachte die Brüder noch mehr in Rage. Ein Wort gab das andere, sie schubsten ihn hin und her. Einer schlug zu, der nächste schlug fester. Am Ende sprach es einer aus, sie wußten hinterher nicht mehr, wer es gewesen war.
    »Töten wir ihn!«
    Und sie kamen überein. »Wenn wir es alle tun, dann ist es, als ob es keiner getan hätte, dann gibt es keinen Zeugen.«
    Nur Ruben, der schlug nicht ein: »Nein, nein«, sagte er, »das tun wir nicht! Wir wollen uns doch nicht zu Verbrechern machen. Wir werden ihn bestrafen für seine Eitelkeit, das tun wir. Werfen wir ihn in den Brunnen! Dort soll mit ihm geschehen, was will. Wenn Gott tatsächlich seine Hand über ihn hält, wie Josef immer behauptet, dann wird er ihn herausholen, wenn nicht, dann soll er draufgehen.«
    So geschah es. Sie warfen Josef in den Brunnen.
    Dort lag er nun still, er schrie nicht. Sogar in dieser elenden Situation war er der Überzeugung, er sei ein Werkzeug Gottes. Er ließ alles mit sich geschehen. Er war voller Vertrauen. Es wurde Nacht, er sah die Sterne am Himmel vorüberziehen, er sah einen kleinen Ausschnitt des Himmels.
    Seine Brüder lagerten in der Nähe des Brunnens, nicht allzu nah beim Brunnen, das nicht, falls Josef in der Nacht vor Angst schreien sollte – das wollten sie nicht hören.
    Weit nach Mitternacht schlich sich Ruben zum Brunnen. Er wollte Josef retten, wollte ihn herausziehen und nach Hause schicken. Er hatte ein entsetzlich schlechtes Gewissen. Er rief Josefs Namen.
    Aber Josef antwortete nicht. Er hörte Ruben rufen, aber er gab keine Antwort. Was mit mir geschieht, das geschieht, weil es Gottes Plan ist, so dachte er, und ich, Josef, darf Gottes Plan nicht durchkreuzen.
    Am nächsten Tag kam eine Karawane des Weges, die Männer wollten Wasser aus dem Brunnen schöpfen, die Eimer faßten kein Wasser, sie blickten in den Schacht und sahen Josef. Sie holten ihn heraus, fragten ihn aus. Aber er erzählte ihnen nichts von seinen Brüdern.
    »Was sollen wir mit dir machen?« fragten die Männer.
    Josef zuckte mit den Schultern. Sie schauten ihn genau an und sahen, daß er über alle Maßen hübsch war.
    Sie sagten: »Wir werden ihn verkaufen. Vielleicht kann man irgendwo in einer großen Stadt in einem Männerbordell Geld für ihn bekommen.«
    Sie nahmen ihn mit, kamen bei den Brüdern vorbei, und die Brüder sahen Josef. Sie blickten zur Seite.
    Der Karawanenführer sagte zu den Brüdern: »Wir haben hier jemanden. Könnt ihr den brauchen? Seht ihn euch an, wir verkaufen ihn euch. Er ist hübsch.«
    Die Brüder sagten nichts. Josef sagte nichts. Die Karawane zog weiter.
    Ruben begann zu weinen: »Was haben wir nur getan?« rief er. »Was haben wir nur getan? Sie werden ihn

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