Geschichten von der Bibel
unterbreitet, das zu groß ist, um es ablehnen zu dürfen! Ich würde alle Prinzipien meines Händlerlebens verraten!«
Im Haus des Potifar wurde Josef von Anfang an die Regelung der Familienfinanzen übertragen. Potifar hatte nur einmal mit ihm gesprochen, er hatte ihn auf Herz und Nieren geprüft und hatte zu seiner Befriedigung festgestellt, daß das Empfehlungsschreiben trefflich und das Geld, das er für diesen Hebräer ausgegeben hatte, gut angelegt war. Josef war in seinem Bereich autonom, wenn er jemanden zu seiner Hilfe benötigte, hatte er sich an den Kämmerer des Potifar zu wenden. Den Herrn selbst bekam er nicht weiter zu Gesicht.
Potifar war ein Eunuch. Das heißt, er beaufsichtigte den Harem des Pharaos. Er bekleidete damit eine der höchsten Stellen im Reich. Potifar war verheiratet. Das mutet seltsam an. Die gesellschaftlichen Regeln verlangten, daß ein Beamter des Pharaos verheiratet war – auch der Eunuch. Die Frau des Potifar war Suleika.
Und dann war eines Tages ein großer Empfang im Haus des Potifar.
Potifar sagte zu seinem Kämmerer: »Wir benötigen alle unsere Leute zur Bedienung der Gäste!«
Also auch Josef. Über hundert angesehene Leute waren eingeladen, unter ihnen auch der Hofgeometer des Pharaos. Der war ein faszinierender Mann, hochgewachsen, mit hellen Augen in einem beinahe schwarzen Gesicht. Die Gäste drängten sich um ihn, hörten ihm zu, er erzählte von der Konstellation der Sterne und zeigte, wie man mit Dreieck, Lineal und Zirkel umging. Geometrie war damals eine Modewissenschaft.
Josef hatte dafür zu sorgen, daß die Gäste immer mit frischen Getränken versorgt wurden. So ergab es sich, daß er einem Gespräch zuhörte, das eben der Hofgeometer des Pharaos mit einem der Gäste führte. Da konnte sich Josef nicht zurückhalten, seine alte Eitelkeit drängte sich in ihm nach vorn, sein ihm angeborener Mangel an Demut. Er tat etwas, was man unter keinen Umständen als Bediensteter tun durfte: Er stellte Fragen. Aber seine Fragen waren so klug, so geschickt, auch so geschliffen und zugleich witzig formuliert, daß sich niemand daran störte. Im Gegenteil, der Hofgeometer war im höchsten Maß erstaunt über die Klugheit dieses Angestellten.
Er fragte den Potifar: »Wer ist denn das hier?«
Potifar antwortete: »Das ist mein Sklave.«
Der Hofgeometer rief aus: »Sogar der Pharao wäre stolz, einen solchen Sklaven zu haben!«
Als das Fest vorüber war, trat Suleika, die Frau des Potifar, zu ihrem Mann und sagte: »Warum hast du deinen Sklaven vor mir versteckt? Ist er nicht zu gut, um irgendwelche Rechenaufgaben zu lösen?«
»Aber er löst diese Rechenaufgaben so vorzüglich, daß unser Haushalt schon in den wenigen Wochen, seit er hier ist, davon profitiert hat«, sagte Potifar.
»Ich möchte, daß er auch für mich einige Aufgaben erledigt«, sagte Suleika.
Die Wahrheit ist: Suleika hat sich rasend in Josef verliebt! Hat sich vernarrt in das schöne Gesicht und den schönen Körper des Josef! Es ist anzunehmen, daß sich Potifar darüber im klaren war.
Suleika ist zu bemitleiden! Sie ist als junges Mädchen mit Potifar verheiratet worden, ohne daß sie gefragt worden wäre. Nun war sie die Frau eines Eunuchen, zwar des ersten Eunuchen des Pharaos, aber von der körperlichen Liebe war sie in ihrer Ehe ausgenommen. Sie wollte sich Josef zum Liebhaber nehmen, und sie dachte, das wird leicht sein, einem Sklaven kann man befehlen.
Sie befahl dem Josef, zu ihr ins Schlafgemach zu kommen.
Aber Josef sagte: »Das kann ich nicht tun. Ich bin der Diener. Ich kann nicht in das Bett der Frau meines Herrn steigen. Das kann ich nicht tun!«
»Und wenn ich dir sage, daß es meinem Mann recht ist?«
»Ich kann es trotzdem nicht tun.«
»Willst du es nicht tun?«
»Ich kann es nicht.«
Suleika gab aber nicht so schnell auf. Sie bedrängte Josef, sie versuchte, ihn zu verführen, bei jeder Gelegenheit versuchte sie es, sie entblößte ihre Beine, wenn er an ihr vorüberging, entblößte ihre Brust, wenn er vor ihr stand.
Es fiel Josef nicht leicht zu widerstehen. Suleika war eine sehr schöne, sehr reizvolle Frau.
»Ich möchte, daß dein Mann mich wieder verkauft«, sagte er. »Ich kann nicht weiter in seinem Haus wohnen. Ich werde mit ihm sprechen. Ich will ihm die Wahrheit sagen.«
Da weinte Suleika. Sie fiel vor Josef auf die Knie, bat ihn, sie nicht zu verlassen. Wenigstens sehen wolle sie ihn, wenn er schon nicht in ihr Schlafgemach komme.
»Es ist nicht gut,
Weitere Kostenlose Bücher