Geschichten von der Bibel
wenn du mich siehst«, sagte Josef. »Ich weiß, es ist mein Gesicht, das dich betört.«
»Du bist eingebildet«, sagte Suleika. »Das ziemt sich für einen Sklaven nicht.«
»Ich bin auf mein Gesicht nicht eingebildet«, sagte Josef. »Ich weiß, daß mein Gesicht schön ist, und ich schäme mich dafür.«
Josef sagte, er werde nur unter einer Bedingung nicht mit Potifar sprechen, nämlich wenn er in Suleikas Gegenwart einen Schleier tragen dürfe. Aber Suleika ließ das nicht zu. Sie wollte Josefs Gesicht sehen. So tat er alles, um ihr in dem großen Haus nicht zu begegnen. Suleika wurde krank, liebeskrank.
Die Hofdamen, die sie besuchten, fragten: »Was ist mit dir los? Hast du eine geheime Krankheit, von der wir nichts wissen? Von der du uns nichts sagen willst? Wir sehen doch, wie sehr du leidest.«
Suleika sagte: »Wollt ihr wissen, woran ich leide?«
»Ja, sag es uns!«
»Ich werde euch zeigen, woran ich leide«, sagte Suleika.
Die Damen saßen im Salon. Suleika gab Befehl, man solle den Josef holen.
Josef kam, er brachte Obst auf einem Teller, und weil er ahnte, was passieren würde, hatte er den Schleier vor seinem Gesicht.
Als er den Damen die Obstschale reichte und die Messerchen dazu, sagte Suleika zu ihm: »Warum hast du einen Schleier übergezogen? Wir wollen dich sehen.«
Die Damen waren gerade dabei, die Früchte mit den Messerchen zu schälen, da nahm Josef den Schleier ab. Als sie sein Gesicht sahen, wie schön es war, da schnitten sie sich in den Finger.
»Jetzt kannst du gehen«, sagte Suleika zu Josef.
Und zu ihren Freundinnen sagte sie: »Seht ihr! Ihr habt nur wenige Sekunden in sein Gesicht geschaut und habt euch vor Entzücken und Schmerz in den Finger geschnitten. Ich sehe ihn den ganzen Tag, und das schneidet mir in die Seele.«
Suleika versuchte immer wieder, Josef zu verführen. Sie braute ihm Liebestränke. Aber er durchschaute sie und spuckte aus. Er blieb standhaft.
Sie sagte zu ihm: »Du tötest mich. Ist das erlaubt?«
»Einen Menschen zu töten ist nicht erlaubt«, sagte Josef.
»Dann bist du ein Verbrecher!« schrie sie ihn an.
Doch er sagte nur ruhig: »Ich bin kein Verbrecher.«
Sie flehte. Sie redete mit den zärtlichsten Worten zu ihm.
Josef blieb standhaft.
Dann fing Suleika an, Josef zu drohen. Sie sagte: »Wenn du mir nicht folgst, werde ich mich rächen. Ich werde dich grausam unterdrücken!«
Josef sagte: »Gott hilft den Unterdrückten.«
»Ich werde dich verhungern lassen«, sagte sie.
»Gott speist die Hungernden«, sagte Josef.
»Ich werde dich in den Kerker werfen lassen!«
»Gott befreit die Gefangenen.«
»Ich werde dich in den Staub treten!«
»Gott erhebt die Gedemütigten.«
Eines Tages hielt es Suleika nicht mehr aus, sie riß den Josef an sich, und sie riß ihm die Kleider vom Leib.
Sie umklammerte ihn, mit ihren Fingernägeln zerkratzte sie seine Haut. Josef stieß sie von sich und lief hinaus.
Suleika stand da, gedemütigt. Da schlug ihre Liebe in Haß um. Sie riß sich selber die Kleider vom Leib, sie zerkratzte sich mit den Fingernägeln die Brust. Dann schrie sie.
Als die Wache kam, schrie sie weiter, schrie: »Josef, der Knecht, er wollte mich vergewaltigen. Seht her: Er hat meine Kleider zerrissen, er hat meine Haut zerkratzt. Ich habe mich gewehrt! Nehmt ihn fest!«
Josef wurde gefunden, wie er nackt in einer Nische kauerte. Seine Haut war zerkratzt. Das galt als Beweis seiner Schuld.
Potifar ließ den Josef ins Gefängnis werfen. Potifar wußte genau, was in Wahrheit vorgefallen war, er konnte es sich jedenfalls denken. Potifar mochte den Josef, er dachte sich sogar, wie großartig loyal es von ihm doch war, daß er seiner Frau widerstanden hatte. Aber er wollte Suleika in der Öffentlichkeit nicht bloßstellen. Deshalb ließ er Josef ins Gefängnis sperren.
Aber Potifar gab dem Kerkermeister den Auftrag, er solle Josef gut behandeln. Josef wehrte sich nicht, er fügte sich. Er nahm es hin als einen Teil des Planes Gottes. Er nahm es hin als Strafe für die Eitelkeit seiner Jugend. Nun saß er also im Gefängnis, er war freundlich zu allen, und alle waren freundlich zu ihm.
Nach etlichen Monaten kamen zwei neue Gefangene ins Gefängnis, nämlich der Bäcker des Pharaos und der Mundschenk des Pharaos. Dem Bäcker wurde vorgeworfen, er habe bitteres Mehl verwendet, nämlich für das Brot, das der Pharao aß. Dem Mundschenk wurde vorgeworfen, er habe den Wein gepanscht, den er dem Pharao verkauft hatte. Beide
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