Geschlossene Gesellschaft
hatte, dass ich zwölf Stunden zu spät kam. Ich konnte kaum behaupten, dieses Land noch zu kennen, aber vermutlich würde es zugeben, dass es mich kannte.
Die Ausschiffung ersetzte die angenehme Mühsal der Erste-Klasse-Kabine durch die anstrengende Mühsal des Schlangestehens an der Ausweiskontrolle und am Zollschuppen. Schließlich erreichten wir den wartenden Zug. Auf dem überfüllten Bahnsteig, zwischen den Trägern, die mit einer Vielzahl von Koffern und Reisetaschen hin- und hereilten, verabschiedete ich mich von Max. Er konnte es offensichtlich kaum erwarten, dass ich endlich verschwand, während Diana wenigstens vorgab zu bedauern, dass ich nicht bleiben konnte. Vita, der der feste Boden unter den Füßen sichtlich ihre Lebensgeister wiedergab, schien die Neuigkeit, dass ich ihnen in Surrey nicht Gesellschaft leisten würde, wirklich zu enttäuschen. Ich spielte ein anderes Bedauern, als ich in Wahrheit empfand, verabschiedete mich von allen und ging schnurstracks in den Speisewagen, als der Zug den Bahnhof verließ.
Dort jedoch fand ich mich mit einem Weltuntergangspropheten, einem gewissen Millington, an einem Tisch. Gnädigerweise war mir seine Bekanntschaft an Bord des Schiffes erspart geblieben. Kaum hatte er gehört, wie lange ich England ferngeblieben war, ließ er eine bunte Litanei der Wehwehchen der Nation vom Stapel. »Nahezu drei Millionen Arbeitslose. Schließungen und Bankrotte, wo Sie hinschauen. Das Gold fließt aus der Bank von England wie Blut aus einer ernstlich verletzten Arterie. Der Finanzminister ist nicht in der Lage, den Etat auszugleichen, was bei seinen Qualifikationen nicht weiter verwundert. Aber was soll man auch von einer Labourregierung erwarten? Ihr Rezept gegen alles lautet: Totstellen und Verrücktspielen. Wir werden wie die Deutschen enden, merken Sie sich meine Worte. Auch wir werden Wagenladungen von Geldscheinen durch die Straßen schieben, um einen Laib Brot zu kaufen. Hier wird durch reine Inkompetenz ein schönes Land in die Knie gezwungen.« Er unterbrach sich, um eine weitere Flasche Champagner zu bestellen, und schaute dann aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Szenerie. »Ich kann leider nur eine völlige Katastrophe voraussagen.«
In diesem Moment fuhren wir an Winchester vorbei, und ich sah vor meinem geistigen Auge den dreizehnjährigen Jungen, der ich einmal gewesen war, an seinem ersten Tag im College. Das war der Tag, an dem ich Max Wingate zum ersten Mal traf. Dort, auf dem Bahnsteig, der jetzt vom Nebel verhüllt wurde, waren wir, überladen mit Gepäck und Heimweh, aufgeregt und nervös in die Novembersonne hinausgestiegen. Und nachdem wir festgestellt hatten, dass wir beide Schüler dieses Colleges waren, hatten wir unsere Freundschaft mit einem kräftigen Handschlag besiegelt. »Sehr erfreut, dich kennenzulernen«, hatte Max gesagt. Und ich tat dasselbe.
»Wenn ich Sie wäre«, bemerkte Millington und beugte sich über den Tisch zu mir, »würde ich geradewegs nach Amerika zurückgehen. Hier gibt es für einen so unternehmungslustigen Burschen wie Sie nichts zu holen.«
Ich lächelte und schwieg, aber im Stillen stimmte ich ihm zu.
Die Wohnung in Hay Hill war klein, aber gemütlich. Sie wurde von der respekteinflößenden Mrs. Dodd sauber gehalten, die mit ihrem Ehemann einen Tabakladen in der Oxford Street führte. Ich holte mir von ihnen den Schlüssel, machte es mir so bequem wie möglich und wartete auf Max' Ankunft. Ein Wochenende voller Verzweiflung verging, bevor er sich endlich blicken ließ. Er hatte mich am Samstag von Southampton angerufen, um mir mitzuteilen, dass er erst noch kurz bei seinen Eltern in Gloucestershire vorbeischauen wollte. Als er Sonntagabend beschwingt und fröhlich durch die Tür stürmte, war der Kontrast zu meiner eigenen Stimmung nur allzu deutlich.
»Schlecht gelaunt, alter Knabe?«
»Es geht.«
»Warum besuchst du nicht einfach deinen Vater, während ich unser Projekt in Surrey weiterverfolge?« Er rieb sich voller Vorfreude die Hände. »Du hast doch nichts anderes zu tun, nicht wahr?«
»Weil er nicht weiß, dass ich in England bin«, erwiderte ich nachdrücklich. »Ein Zustand, mit dem ich sehr glücklich bin. Und weil ich tatsächlich viel zu tun habe - sobald dieses miese Wochenende vorbei ist.«
»Du brauchst deswegen nicht gleich aus dem Häuschen zu geraten. Mach, was du willst.«
»Danke. Genau das habe ich im Sinn.« Max brach am Dienstag strahlend und zuversichtlich nach Surrey auf. Ich
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