Geschlossene Gesellschaft
Sie mich nach Pwllheli bringen.«
»Das werde ich auch, wenn die Strömung sich ändert und der Wind nachlässt.«
»Und wann wird das sein?«
»In ein paar Stunden, nicht mehr. Lieber in dieser Welt zu spät ankommen als zu früh in der nächsten, wie meine selige Mutter zu sagen pflegte.«
»Ich muss bis um halb sechs morgen früh in Pwllheli sein.«
»Das werden Sie auch, Sir. Vertrauen Sie Desmond Rafferty. Er wird Sie bis dahin sicher an Land bringen. Nun, Sie können meinen Lohn kürzen, wenn ich es nicht schaffe. Ist das ein faires Angebot?«
Einen Augenblick wollte ich ihn auffordern, mich sofort an Land zu bringen. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich in einer regnerischen, stürmischen Nacht von Aberdaron nach Pwllheli kommen sollte. Es war vermutlich weit schwieriger, als Raffertys seefahrerischen Kenntnissen zu vertrauen. »Einverstanden«, gab ich nach. »Wie Sie wollen.«
»Und um Ihre Ungeduld ein wenig zu lindern - ich habe eine Flasche Bushmills an Bord. Warum sitzen wir den Sturm nicht bei ein paar Drinks aus?« Er schaute neugierig auf die Tasche, die ich fest in meiner Hand hielt. »Sie brauchen wirklich keine Angst zu haben, dass diese Brüder in Aberdaron Bay auftauchen. Wenn es die sind, die Sie fürchten.«
Ein guter Whisky war sehr verlockend. Ich brauchte etwas, was das Entsetzen wegbrannte, das Entsetzen über all das, was ich heute getan und erfahren hatte. Ich stellte die Tasche ab und schob sie mit dem Fuß unter den Tisch. Dann lächelte ich gelassen. »Wovor sollte ich sonst Angst haben?«
»Vor nichts, Sir.« Rafferty grinste. »Nicht einmal vor Schiffbruch - solange ich für Ihre Überfahrt verantwortlich bin.«
Und so setzten Rafferty und ich uns auf kleine Kojen auf jeder Seite der Kajüte und machten uns über seinen Bushmills her, während das Boot an seinem Anker zerrte und der Sturm langsam über die Bucht hinwegging. Rafferty erinnerte sich an die Zeit, als man noch segelte, und an seine Kriegserlebnisse bei der Königlichen Marine. Die hatten damit geendet, dass er von den Deutschen aufgefischt worden war, nachdem er einen sinkenden Zerstörer in der Skagerrak-Schlacht verlassen hatte.
»Ich war zweieinhalb Jahre in einem Kriegsgefangenenlager , in Bayern, Sir. Als ich nach Hause kam, stellte ich fest, dass die IRA und die Black and Jans wie Streithähne übereinander hergefallen waren. Menschen wie ich geraten immer zwischen die Fronten. Schweigen Sie mir bloß von den guten alten Zeiten.«
Selbst das Leben des sorglosen Desmond Rafferty schien vom Krieg, den andere angefangen hatten, irgendwie geändert worden zu sein. Gab es überhaupt jemanden, der davon unberührt geblieben war? Gab es jemanden, der nicht ein Recht auf Rache hatte? - Und ich hatte die Möglichkeit dazu!
Ich lehnte mich auf die Koje zurück und glitt unwiderstehlich in einen traumschweren Schlaf. Diana wartete auf mich, warm und geschmeidig, verführerisch und verräterisch. Doch Klaus wartete auch. Er richtete sich auf, als ich mich auf der Straße über ihn beugte, grinste mit einer wahnsinnigen Grimasse und schloss seine Hände um meine Kehle. Und dann kam samtenes Vergessen wie eine Kapuze, die sich über das Gesicht eines Verurteilten legt.
Es war taghell, als ich erwachte, und eine blasse Sonne schien durch das Bullauge. Das Boot lag ruhig vor Anker und schwankte nur leicht. Offenbar war der Sturm vorbeigezogen. Ich richtete mich auf und bemerkte einen bleiernen Schmerz in meinem Kopf. Unwillkürlich schaute ich auf meine Uhr. Es war halb zwölf. Ich starrte ungläubig auf die Zeiger. Halb zwölf Uhr morgens! Ich hatte mehr als fünfzehn Stunden geschlafen! Das war unmöglich. Aber es stimmte. Und es war genauso wahr wie verheerend.
»Guten Morgen, Sir«, begrüßte mich Rafferty von der Tür zur Kajüte aus. »Wollen Sie einen starken Tee?« Er hielt einen emaillierten Becher hoch.
»Warum, zum Teufel, haben Sie mich nicht früher geweckt?« fuhr ich ihn an und sprang auf die Füße.
»Es wäre einfacher gewesen, die Toten aufzuwecken.«
»Sie wussten doch, dass ich um halb sechs in Pwllheli sein musste.«
»Das waren Sie auch, Sir. Das waren Sie.« Er stellte den Becher ab und schüttelte den Kopf. »Ich schulde Ihnen dennoch eine Entschuldigung. Ich habe Ihnen gestern Abend ein Schlafmittel in den Whisky geschüttet.«
»Was?«
»Ich habe einen Evening Herald gekauft, bevor wir Wicklow verließen... Darin war ein Artikel über eine Schießerei im Phoenix Park gestern früh.
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