Geschlossene Gesellschaft
Zug nach London fährt um Viertel vor eins, Sir«, informierte mich der Angestellte. »Nach London müssen Sie in Barmouth und Ruabon umsteigen.«
»Wann werde ich dort ankommen?«
»Der Anschlusszug für Ruabon ist der Vier-Uhr-Zug aus Liverpool, und der soll in Paddington ankommen um... um Viertel vor zwölf, Sir.«
Ich starrte ihn verblüfft an. »Eine Viertelstunde vor Mitternacht? Das ist lächerlich.«
»Ob lächerlich oder nicht, Sir, es ist das Beste, was die Great Western Railway um diese Jahreszeit für Sie tun kann. Wollen Sie eine Fahrkarte?«
»Ja«, antwortete ich niedergeschlagen. »Aber sagen Sie mir zuerst, wo ich gegen sechs Uhr sein werde.«
»Um sechs? Mal sehen.« Er fuhr mit dem Daumen eine Spalte im Fahrplan hinab. »Sie nähern sich dann Shrewsbury, Sir. Sie sollten dort um zwölf nach sechs eintreffen.«
»Vielen Dank«, sagte ich durch zusammengepresste Zähne.
»Nichts zu danken, Sir. Einfache Fahrt oder Rückfahrkarte?«
»Einfach.« Es war unmöglich, vor Mitternacht im Rose and Crown einzutreffen. Bis dahin würde Duggan mich längst aufgegeben haben. Irgendwie musste ich verhindern, dass das geschah, musste mit ihm sprechen, bevor er die Geduld verlor. »Erste Klasse, nach Shrewsbury.«
»Shrewsbury? Nicht London, Sir?«
»Nein. Nicht London. Ich habe meine Meinung geändert.«
Für jemanden, der es eilig hat, ist Trödelei noch schlimmer als Stillstand. So ging es mir, als ich in mitgenommenen Eisenbahnwaggons mühsam durch die Nordwestecke von Cardigan Bay zuckelte, dann die Cambrian Mountains hinauf und das Dee Valley nach Ruabon hinunter rumpelte. Es gab nur wenige Mitreisende auf dieser Strecke, so dass ich ein Abteil für mich allein hatte. Ich hatte also Zeit, mich über die langsame Fahrt zu ärgern und die Zeitungen durchzublättern, die ich in Pwllheli gekauft hatte.
Mich interessierten nur die Berichte über die Schießerei im Phoenix Park und die Beschreibung des Mannes, der weggelaufen war. Aber es gab keine. Die britische Presse hielt anscheinend Schießereien in Dublin für stinknormal. Für diese Borniertheit war ich wirklich dankbar. Sollten sie ihre Scheuklappen doch aufbehalten, bis ich sie ihnen herunterreißen würde. Je weniger Aufmerksamkeit sie inzwischen einem Wanderer mit einer Gladstone-Reisetasche schenkten, desto besser.
Während der Zug durch die Einöde von Merionetshire rumpelte, durchlebte ich viele Male diese flüchtigen Momente der Gewalt. Ich sah noch einmal die Pistole in O'Reillys Hand, hörte erneut die beiden Schüsse und beobachtete von neuem, wie Charnwood langsam zu Boden sank. Ich erinnerte mich auch an meinen Traum, in dem Klaus die Augen öffnete und seine Hände sich um meine Kehle legten. Ich erschauerte und schaute mich nervös um, um sicherzugehen, dass ich immer noch allein war. Wie ich immer allein gewesen war - außer in meinen Gedanken. In ihnen hatte sich Dianas spöttisches, triumphierendes Lächeln festgesetzt und ließ sich nicht vertreiben. Sie hatte mich genauso bestraft wie ihren Vater. Ich hätte wissen müssen, dass man ihr im Betrügen nicht über sein konnte. Ein Waffenstillstand mit ihr war ein Pakt mit dem Teufel. Sie würde nie aufhören zu lügen, niemals aufhören, ihren eigenen Vorteil zu suchen. Sie würde unfehlbar immer wenigstens einen Schritt voraus sein.
Ich befühlte den Brief, den Charnwood mir für sie anvertraut hatte, und überlegte, ob ich ihn öffnen sollte. Aber irgendetwas hielt mich davon ab. Respekt für den, wie sich herausgestellt hatte, letzten Wunsch eines Toten? Vielleicht. Möglicherweise war es auch die Aussicht, ihr diesen Brief eines Tages mit ungebrochenem Siegel überreichen zu können, sie auf die einzige Weise zu quälen, die mir möglich war.
Aber Diana, das redete ich mir ein, war nicht mehr wirklich wichtig. Ich musste mich jetzt mit der Concentric Alliance herumschlagen. Ich, Max und Felix- und alle unserer Generation. Selbstverständlich trieb mich mehr an als nur das Verlangen, mich an ihr zu rächen. Es war die Erkenntnis, dass ich zu viel wusste, um ein Geschäft vorzuschlagen. Faraday und die Leute, denen er diente, würden mich töten, wenn sie mich in ihre Hand bekämen. Meine einzige Hoffnung war, für sie wertlos zu werden - indem ich Charnwoods Geheimnisse von den Dächern herabschrie. Ich war auf der Seite der Wahrheit und Justiz, weil ich keine Wahl hatte. Sie waren der Schlüssel für mein Überleben geworden.
Mein Überleben hing auch von George Duggan
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