Geschlossene Gesellschaft
abklingen wie die Wutanfälle meiner Frau. Machen Sie es sich in der Kajüte gemütlich und genießen Sie die Fahrt.«
Die Kajüte war achtern, vom Ruderhaus durch das Deck getrennt. Als wir die Hafenmauer hinter uns gelassen und die Reise angetreten hatten, zog ich mich in diese relative Ungestörtheit zurück, nahm die Dokumente aus der Reisetasche und legte sie vor mich auf den kleinen Kartentisch. Einige Stunden Einsamkeit lagen vor mir, während Rafferty an seinem Steuerruder zu tun hatte. Das war die Chance, auf die ich den ganzen Tag gewartet hatte. Jetzt konnte ich herausfinden, wie viel Wissen - und damit wie viel Macht - Charnwood mir in die Hand gelegt hatte. Ich zündete die Sturmlaterne an, hängte sie an einen Balken über dem Tisch und begann eine andere Reise - in die innersten Kreise der Concentric Alliance.
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Jetzt also wusste ich es. Alle Unternehmungen. All die Namen. All die Schritte auf dem Weg. Charnwoods Geheimnisse gehörten mir, in der Prosa von Ausschussmitgliedern, in Zahlenkolonnen von Buchhaltern und in Korrespondenz-Durchschlägen; es war schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte, denn sie enthielten nur Gerissenheit und Logik, wo ich erwartet hatte, Bosheit und Wahnsinn zu finden. Doch nichts, was die Concentric Alliance getan hatte, verriet Größenwahn. Alles schien in Charnwoods Manier abgelaufen zu sein: ruhig, umsichtig kalkuliert und dabei immer unbarmherzig und gnadenlos auf der Jagd nach Profit.
Die Ursprünge der Alliance lagen in Charnwoods Kopf. Im Frühjahr 1909 hatte er ein Komitee seiner führenden Klienten gegründet, um deren unorthodoxe Investitionen zu sanktionieren. Soweit ich aus den Protokollen und Resolutionen ersehen konnte, hatte Charnwood den Komiteemitgliedern angeboten, sie könnten von den politischen und militärischen Verbindungen profitieren, die er während der Jahre, in denen er Waffen für die Firma seines Vaters Moss Charnwood verkauft hatte, in ganz Europa aufgebaut hatte. Charnwood glaubte, dass die Annexion Bosniens durch Österreich-Ungarn im Herbst des vorausgegangenen Jahres (1908) innerhalb von fünf Jahren zu einem Weltkrieg führen würde. Und er behauptete, dass seine zahlreichen Kontakte es ihm erlaubten, den Ausbruch bis auf den Monat genau vorherzusagen. Er versprach seinen Klienten riesige Gewinne und ein ungeheures Vermögen, wenn sie große Aktienpakete von Werften, Munitionsfabriken und militärischen Zulieferfirmen aller betroffenen Länder aufhäuften, Gold und kriegswichtige kurzfristige Aktien im richtigen Zeitpunkt kauften und Kriegsversicherungen abschlössen, wie hoch auch die Prämien waren. Um jedoch im notwendigen Ausmaß investieren zu können, mussten sie enorme Summen borgen. Und sie würden Geduld brauchen.
Charnwoods Klienten mussten nicht groß überredet werden. Die meisten hatte er wahrscheinlich in privaten Gesprächen gewonnen. Sie stimmten seinen Vorschlägen zu und waren auch bereit, zu schweigen und zu warten. Charnwood wurde ihres vollkommenen Vertrauens versichert und mit der Buchführung betraut. Kapital wurde geliehen und ausgegeben. Neue Mitglieder wurden gewonnen; in Frankreich, Italien, Deutschland, Russland, Spanien, der Schweiz und Österreich wurden unter Charnwoods Vorsitz Filialen gebildet. Was er ursprünglich Special Investments Committee genannt hatte, wurde nun eines von mehreren sogenannten Concentric Commitees. Irgendwann im Lauf des Jahres 1912 benutzte er zum ersten Mal den Namen Concentric Alliance, in versteckter Anspielung auf die beiden bewaffneten Allianzen, in die sich die Mächte Europas geteilt hatten.
Vielleicht war es der in diesem Begriff ausgedrückte Ehrgeiz, der Anfang 1913 die Diskussion über das auslöste, was euphemistisch »Beschleunigung« genannt wurde. Alle finanziellen Ressourcen sämtlicher Mitglieder der Concentric Alliance waren dazu verwendet worden, aus der Krise Kapital zu schlagen, die durch den Einmarsch der verbündeten Balkanstaaten in die Balkanprovinzen der Türkei im Oktober 1912 ausgelöst worden war. Charnwoods Kontakte in Wien hatten ihn überzeugt, dass Österreich-Ungarn ein vergrößertes Serbien nicht tolerieren würde und dass infolgedessen die Konsequenz aus Serbiens Einmarsch in Mazedonien Krieg sein musste. Aber es gab keinen. Kaiser Franz Josef hielt, unterstützt von seinem Neffen und Nachfolger auf dem Thron, Erzherzog Franz Ferdinand, am Frieden fest. Als also ihre Schulden stiegen und ihre anfängliche Zuversicht langsam zu
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