Geschöpfe der Nacht
erstklassige Ausbildung zum Sprengmeister, Bombenräumer und Militärpolizisten. Andere Angehörige der Streitkräfte wiederum wurden in Sabotage, Feldartillerie, im Sanitätswesen und in Kryptographie geschult, und Zehntausende von Infanteristen absolvierten dort ihre Grundausbildung. Auf dem Gelände des Stützpunkts befanden sich ein Artillerieschießstand, ein umfangreiches Netz von Bunkern, die als Munitionslager dienten, ein Flugplatz und mehr Gebäude als innerhalb der Stadtgrenzen von Moonlight Bay.
Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges taten – offiziell – 36400 Personen in Fort Wyvern Dienst. Zu dem Stützpunkt gehörten auch 12904 Familienangehörige und über viertausend zivile Angestellte. Die Lohnsumme des militärischen Personals betrug jährlich über siebenhundert Millionen Dollar, und das sonstige Budget des Stützpunkts überstieg einhundertfünfzig Millionen pro Jahr.
Als Fort Wyvern auf Empfehlung einer Kommission im Verteidigungsministerium geschlossen wurde, war das Schmatzen, mit dem der Wirtschaft des Bezirks Geld abzogen wurde, so laut, daß die örtlichen Geschäftsleute deshalb nicht mehr schlafen konnten und ihre Kleinkinder nachts weinten, weil sie befürchteten, daß ihre Eltern später einmal die Studiengebühren fürs College nicht mehr aufbringen konnten. KBAY, der fast ein Drittel der potentiellen Zuhörer im Bezirk und die Hälfte der Zuhörer des Nachtprogramms verlor, mußte Personal einsparen. Deshalb fand Sasha sich plötzlich sowohl als Diskjockey der Schicht nach Mitternacht als auch als Geschäftsleiterin wieder, und aus dem gleichen Grund leistete Doogie Sassman jetzt acht Überstunden in der Woche ohne Zuschlag, und spannte dabei nicht einmal protestierend den tätowierten Bizeps an.
Bauunternehmer waren zwar nicht ununterbrochen, aber doch sehr häufig auf dem Gelände von Fort Wyvern tätig gewesen und hatten umfangreiche Bauvorhaben unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt. Ihre Arbeiter mußten sich zu angeblich lebenslanger Geheimhaltung verpflichten; selbst der kleinste Versprecher hätte zu einer Anklage wegen Hochverrats geführt. Den Gerüchten zufolge war Wyvern wegen seiner stolzen Geschichte als Zentrum der militärischen Ausbildung und Unterweisung danach zu einer bedeutenden Forschungseinrichtung für chemisch-biologische Kriegführung umgestaltet worden. Die Laboratorien befanden sich angeblich in einem riesigen, autarken und hermetisch abgeschotteten unterirdischen Komplex.
Angesichts der Ereignisse der letzten zwölf Stunden ging ich davon aus, daß diese Gerüchte mehr als nur einen Fetzen Wahrheit enthielten, auch wenn ich bisher nicht den kleinsten Beweis dafür erhalten hatte, daß solch eine Festung tatsächlich existierte.
Der aufgegebene Stützpunkt bietet jedoch Anblicke, die einen nicht nur verblüffen, sondern einem auch eine Gänsehaut über den Rücken jagen und einen nicht minder über das Ausmaß der menschlichen Torheit nachdenken lassen wie das, was man in einem Labor für kryobiologische Kriegführung sieht. Mir kommt Fort Wyvern in seinem jetzigen Zustand wie ein makaberer Freizeitpark vor, der genau wie Disneyland in verschiedene Bereiche unterteilt ist, mit dem Unterschied, daß immer nur ein Gast – mit seinem treuen Hund – eingelassen wird.
Die Totenstadt mag ich am liebsten.
Totenstadt nenne ich dieses Gebiet, das natürlich nicht so hieß, als Fort Wyvern noch blühte und gedieh. Es besteht aus über dreitausend Ein- und Zweifamilienhäusern, in denen das verheiratete Personal mitsamt seinen Familienangehörigen untergebracht wurde, falls es sich dafür entschied, auf dem Stützpunkt zu wohnen. Vom Baustil her spricht nur wenig für diese bescheidenen Gebilde, die alle praktisch identisch sind. Sie boten den zumeist jungen Familien, die sie während der Jahrzehnte voller Kriege immer nur für ein paar Jahre bewohnten, ein Minimum an Komfort. Obwohl ein Haus genau wie das andere aussah, waren sie jedoch ganz nett, und wenn man durch ihre leeren Räume geht, fühlt man, daß ihre Bewohner gut in ihnen gelebt haben. Sie haben dort miteinander geschlafen, gelacht und mit Freunden zusammengesessen.
Heutzutage sieht man in den in einem militärischen Gitter angelegten Straßen der Totenstadt Staubverwehungen an den Bürgersteigen und trockene Steppenläufer, die auf Wind warten. Nach der Regenzeit wird das Gras schnell braun und bleibt den Großteil des Jahres über so. Die Sträucher sind alle verwelkt, und
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