Geschöpfe der Nacht
viele Bäume sind tot, ihre leblosen Äste schwärzer als der schwarze Himmel, in den sie sich zu krallen scheinen. Die Mäuse haben die Häuser in Besitz genommen, und auf den Stürzen der Haustüren nisten Vögel und beflecken die Treppen mit ihrem Kot.
Man sollte eigentlich damit rechnen, daß die Gebäude entweder instand gehalten werden, da durchaus die Möglichkeit besteht, daß sie in Zukunft noch gebraucht werden, oder aber, daß sie abgerissen werden, aber für keine dieser Lösungen scheint das Geld vorhanden zu sein. Da der Wert des Materials und der Einrichtung der Gebäude geringer ist als die Kosten einer Ausschlachtung, findet sich kein Unternehmer, der sie auf diese Weise beseitigen würde. Also läßt man sie einfach verfallen, genau wie die Geisterstädte der Goldgräberära einfach aufgegeben wurden.
Wenn man durch die Totenstadt wandert, kommt man sich vor, als wären alle Menschen einfach verschwunden oder an einer Seuche gestorben, und man sei allein auf dem Antlitz der Erde. Oder man wäre verrückt geworden und lebe nun in einer grimmigen solipsistischen Phantasiewelt, umgeben von Leuten, die man einfach nicht zur Kenntnis nimmt. Oder man wäre gestorben und in die Hölle gefahren, in der die Verdammnis aus ewiger Einsamkeit besteht. Wenn man einen oder zwei heruntergekommene Kojoten mit mageren Flanken, langen Zähnen und glühenden Augen zwischen den Häusern herumschleichen sieht, kommen sie einem wie Dämonen vor, und die Hades-Phantasie ist dann am glaubhaftesten. Wenn man jedoch einen Literaturprofessor zum Vater hatte und mit einem Verstand gesegnet – oder geschlagen – ist, der einem Zirkus mit dreihundert Manegen gleicht, dann fallen einem unzählige Szenarios ein, mit denen man den Ort erklären könnte.
In dieser Nacht im März radelte ich also durch einige Straßen in der Totenstadt, stattete aber keinem Haus einen Besuch ab. Der Nebel war noch nicht so tief landeinwärts vorgedrungen, und die trockene Luft war wärmer als die feuchte Dunkelheit entlang der Küste. Der Mond war zwar untergegangen, aber die Sterne leuchteten hell, weshalb die Nacht ideal für eine Rundfahrt war. Man würde allerdings eine volle Woche benötigen, wenn man auch nur dieses eine Land im Vergnügungspark Wyvern gründlich erkunden will.
Mir war nicht so, als ob ich beobachtet würde. Nach dem, was ich in den vergangenen paar Stunden erlebt hatte, war mir klar, daß ich bei meinen vorherigen Besuchen zumindest ab und zu überwacht worden sein mußte.
Hinter den Grenzen der Totenstadt befinden sich zahlreiche Kasernen und andere Gebäude. Ein ehemals ausgezeichneter Supermarkt, ein Friseur, eine Reinigung, ein Blumenladen, eine Bäckerei, eine Bank: von den staubverkrusteten Schildern blätterte die Farbe ab. Eine Tagesstätte. Die älteren Soldatenkinder besuchten die High School in Moonlight Bay, aber hier gab es einen Kindergarten und eine Grundschule. In der Stützpunktbibliothek hatte man alle Bücher aus den nun spinnwebverhangenen Regalen geräumt; lediglich eine Ausgabe von Der Fänger im Roggen hatte man übersehen. Arzt- und Zahnarztpraxen. Ein Kino, auf dessen Werbetafel nur noch ein einziges rätselhaftes Wort steht: WER . Eine Bowlingbahn. Ein Swimmingpool in Wettkampfgröße, nun entleert und rissig und voller Müll geweht. Ein Fitness-Center. In den Stallreihen, die schon lange keine Pferde mehr beherbergen, schwingen die unverschlossenen Türen jedesmal, wenn der Wind auffrischt, mit einem bedrohlichen, krächzenden und knarrenden Chor. Der Softballplatz ist von Unkraut überwuchert, und der verwesende Kadaver eines Berglöwen, der seit über einem Jahr im Käfig des Schlagmanns liegt, ist endlich nur noch ein Skelett.
Doch auch keiner dieser Orte interessierte mich. Ich radelte an ihnen vorbei zu dem hangarähnlichen Gebäude, das über dem Labyrinth der unterirdischen Räume steht, in denen ich im letzten Herbst die Mystery-Train-Mütze fand.
Am Gepäckträger meines Rades ist eine Polizeitaschenlampe befestigt, deren Lichtstrahl man auf drei Helligkeitsstufen einstellen kann. Ich stellte das Fahrrad am Hangar ab und löste die Lampe vom Gepäckträger.
Orson findet Fort Wyvern einmal furchterregend und ein andermal faszinierend, aber ganz gleich, wie seine Reaktion jeweils ausfällt, er bleibt stets an meiner Seite, ohne sich zu beklagen. Diesmal war ihm eindeutig unheimlich zumute, doch er zögerte nicht, noch winselte er.
Die kleine Tür, die in eines der größeren
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