Geschöpfe der Nacht
kotzen?« sagte er.
»Es ist keine Krankheit in diesem Sinne. Es ist eher ein Prozeß.«
Wieder zuckte ein Blitz auf. Wunderschön. Und zu kurz, um mir zu schaden.
»Ein Prozeß«, sagte Bobby sinnierend.
»Man ist eigentlich nicht krank. Man… verändert sich nur.«
Sasha schob die Pizza zum Aufwärmen in den Backofen. »Wem hat das Hemd vor dir gehört?« sagte sie.
»In den fünfziger Jahren?« sagte Bobby. »Wer weiß?«
»Lebten die Dinosaurier damals noch?« fragte ich.
»Nur ein paar«, sagte Bobby.
»Woraus besteht es?« fragte Sasha.
»Aus Viskose.«
»Scheint perfekt erhalten zu sein.«
»Mit so einem Hemd macht man keinen Unsinn«, sagte Bobby ernst, »das hegt und pflegt man.«
Ich holte Bier für uns alle außer Orson aus dem Kühlschrank. Bei seinem Körpergewicht kann der Hund normalerweise ein Bier vertragen, ohne daß sich Folgen zeigen, doch in dieser Nacht mußte er einen völlig klaren Kopf bewahren. Wir anderen brauchten das Zeug dringend; es würde uns guttun, die Nerven ein wenig zu beruhigen.
Als ich neben dem Spülbecken stand und die Bierflaschen aufmachte, zerriß wieder ein Blitz den Himmel und versuchte erfolglos, Regen aus den Wolken zu treiben. In seinem Licht sah ich drei gekrümmte Gestalten, die von einer Düne zur anderen liefen.
»Sie sind da«, sagte ich und trug die Bierflaschen zum Tisch.
»Sie brauchen immer ‘ne Weile, bis sie Mut gefaßt haben«, sagte Bobby.
»Hoffentlich warten sie, bis wir mit dem Abendessen fertig sind.«
»Ich habe einen Bärenhunger«, sagte Sasha beipflichtend.
»Na schön, was sind denn die wichtigsten Symptome dieser Nichtkrankheit, dieses Prozesses?« fragte Bobby. »Sehen wir hinterher aus, als wären wir vom knorrigen Eichenpilz befallen?«
»Einige degenerieren vielleicht psychologisch, wie Steven-son«, sagte ich. »Bei anderen könnte es zu leichten körperlichen Veränderungen kommen, vielleicht auch zu schweren, ich habe keine Ahnung. Vielleicht sind einige Leute überhaupt nicht betroffen, jedenfalls nicht so, daß es einem auffällt, und andere verändern sich dafür tatsächlich.«
Als Sasha bewundernd den Ärmel von Bobbys Hemd betastete, sagte er: »Das Muster stammt von einem Bild von Eugene Savage namens Island Feast .«
»Die Knöpfe sind todschick«, sagte sie, inzwischen etwas entspannter.
»Passen genau dazu«, pflichtete er ihr bei, rieb mit dem Daumen über einen der gelbbraun gestreiften Knöpfe und lächelte mit dem Stolz des leidenschaftlichen Sammlers und wie vor Vergnügen über die sinnliche Struktur. »Polierte Kokosnußschale.«
Sasha nahm einen Stapel Papierservietten aus einer Schublade und brachte sie zum Tisch.
Die Luft war dicht und feucht. Man spürte geradezu, daß der Sturm anschwoll wie ein Ballon. Bald würde er platzen.
»Okay, Bruder«, sagte ich zu Bobby, nachdem ich einen Schluck eiskaltes Corona getrunken hatte, »bevor ich dir den Rest erzähle, wird Orson dir etwas vorführen.«
»Ich habe schon alles an Tupperware, was ich brauche.«
Ich rief Orson zu mir. »Auf den Sofas im Wohnzimmer liegen ein paar Kissen. Eines davon habe ich Bobby geschenkt. Würdest du es bitte holen?«
Orson trottete hinaus.
»Was soll das?« fragte Bobby.
Sasha grinste und setzte sich mit ihrem Bier. »Wart’s nur ab«, sagte sie. Ihr .38 Chiefs Special lag auf dem Tisch. Sie entfaltete eine Papierserviette und bedeckte die Waffe damit. »Wart’s nur ab.«
Jedes Jahr schenken Bobby und ich uns etwas zu Weihnachten. Jeweils nur ein Geschenk. Da wir beide eigentlich schon alles haben, was wir brauchen, sind Wert und Nützlichkeit keine Kriterien, wenn wir einkaufen gehen. Wir legen es vielmehr darauf an, die geschmacklosesten Geschenke zu machen, die wir finden können. Seit unserem zwölften Lebensjahr ist das eine heilige Tradition. In Bobbys Schlafzimmer sind Regale angebracht, auf denen er die Sammlung der geschmacklosen Geschenke aufbewahrt, die ich ihm gemacht habe; das einzige, was seiner Meinung nach nicht geschmacklos genug ist, um Platz auf diesen Regalen zu beanspruchen, ist das Kissen.
Orson kehrte mit diesem ungenügend geschmacklosen Gegenstand im Maul in die Küche zurück, und Bobby nahm es von ihm entgegen und versuchte, sich von der Leistung des Hundes nicht allzu beeindruckt zu zeigen.
Das zwanzig mal dreißig Zentimeter große Kissen ist auf der Vorderseite mit einer Stickerei versehen. Bei dem Kissen handelt es sich um einen der zahlreichen Gegenstände, die von einem
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