Geschöpfe der Nacht
hat, aktiver Diakon seiner Kirchengemeinde und Gründer – und größter Spender – des angeschlossenen Waisenheims.
»Hab das von deinem Dad gehört, Chris.«
»Wenigstens muß er nicht mehr leiden«, sagte ich – und fragte mich, was an seinem Krebs so anders gewesen war, daß die Leute in Fort Wyvern eine Autopsie vornehmen wollten.
»Manchmal ist es ein Segen«, sagte Thor. »Einfach leise abzutreten, wenn die Zeit gekommen ist. Aber viele Leute werden ihn vermissen. Er war ein guter Mensch.«
»Danke, Mr. Heissen.«
»Was habt ihr Blagen überhaupt vor? Wollt ihr einen Krieg anzetteln?«
»Genau«, sagte ich, als Sasha den Schlüssel in der Zündung drehte und den Motor hochjagte.
»Sasha behauptet, ihr wollt Muscheln schießen?«
»Das würde doch gegen die Umweltschutzbestimmungen verstoßen, oder?«
Er lachte, als wir losfuhren.
Im Garten hinter meinem Haus ließ Sasha den Strahl einer Taschenlampe über die Krater gleiten, die Orson am Vorabend ins Gras gescharrt hatte, bevor ich ihn zu Angela Ferryman mitgenommen hatte.
»Was hat er hier vergraben?« fragte sie. »Das vollständige Skelett eines Tyrannosaurus?«
»Gestern abend«, sagte ich, »hielt ich dieses ganze Graben nur für eine Reaktion auf Dads Tod, für einen Ausdruck von Trauer, eine Möglichkeit für Orson, negative Energie abzuarbeiten.«
»Trauerarbeit?« sagte sie stirnrunzelnd.
Sie hatte gesehen, wie klug Orson war, aber noch immer nicht vollständig erfaßt, daß sein Innenleben sehr komplex und mit dem unseren verwandt war. Welche Techniken auch immer bei der Intelligenzsteigerung dieser Tiere zum Einsatz gekommen waren, auf jeden Fall war die Einfügung menschlichen genetischen Materials in ihre DNS daran beteiligt. Wenn Sasha das endlich kapiert hatte, würde sie sich bestimmt eine Weile hinsetzen müssen; vielleicht sogar eine Woche lang.
»Seitdem«, fuhr ich fort, »ist mir in den Sinn gekommen, daß er vielleicht nach etwas gesucht hat, von dem er weiß, daß ich es dringend brauche.«
Ich kniete neben Orson auf dem Gras nieder. »Also, Bruder, ich weiß, daß du gestern abend wegen der Trauer über Dads Tod ziemlichen Kummer gehabt hast. Du warst durcheinander, konntest dich nicht mehr genau daran erinnern, wo du graben mußtest. Jetzt ist er seit einem Tag tot, und du müßtest eigentlich schon darüber hinweg sein, oder?«
Orson jaulte schwach.
»Also versuch’s noch einmal«, sagte ich.
Er zögerte nicht, überlegte nicht, wo er anfangen sollte, sondern ging schnurstracks zu einem Loch und vergrößerte es. Nach fünf Minuten stieß er mit den Krallen auf etwas.
Sasha richtete die Taschenlampe auf einen erdverkrusteten Steinkrug, und ich grub ihn vollends aus.
Darin befanden sich zusammengerollte und von einem Gummiband zusammengehaltene Seiten eines Notizblocks.
Ich rollte sie auf, hielt die erste Seite ins Licht und erkannte sofort die Handschrift meines Vaters. Ich las nur den ersten Absatz: Wenn du dies liest, Chris, bin ich tot, und Orson hat dich zu dem Krug im Garten geführt, von dessen Existenz nur er weiß. Und genau bei ihm sollten wir anfangen. Ich möchte dir von deinem Hund erzählen…
»Bingo«, sagte ich.
Ich rollte die Blätter wieder zusammen, steckte sie in den Krug zurück und schaute zum Himmel. Kein Mond. Keine Sterne. Die Wolken jagten tief und schwarz über den Himmel und wurden hier und dort von dem schmutziggelben Glanz der Lichter Moonlight Bays erhellt.
»Das können wir später lesen«, sagte ich. »Fahren wir los. Bobby ist da draußen allein.«
33
Als Bobby die Heckklappe des Explorers öffnete, kreisten tief über unseren Köpfen kreischende Möwen, die auf dem Weg landeinwärts waren, zu sichereren Schlafplätzen, aufgeschreckt von einem Wind, der das Meer zerschmetterte und die nassen Bruchstücke über die Spitze der Landzunge schleuderte.
Mit dem Karton aus Thor’s Waffengeschäft in den Armen beobachtete ich, wie die weißen Schwingen am turbulenten schwarzen Himmel kleiner wurden.
Der Nebel hatte sich längst aufgelöst. Unter der tiefhängenden Wolkendecke war die Nacht kristallklar.
Auf der Halbinsel um uns herum peitschte das spärliche Gras hin und her. Hohe Sandteufel wirbelten wie bleiche Geister, die aus ihren Gräbern aufgeschreckt worden waren, über die Kuppen der Dünen.
Ich fragte mich, ob mehr als nur der Wind die Seemöwen von ihrem Lagerplatz vertrieben hatte.
»Sie sind noch nicht da«, versicherte Bobby mir, als er die beiden Kartons mit
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