Geschöpfe der Nacht
jeden Fall finden würde.
Bobby kehrte zum Tisch zurück, setzte sich und starrte den Hund an.
»Und?« sagte ich.
»Was?«
»Du weißt schon, was.«
»Muß ich es sagen?«
»Ja.«
Bobby seufzte. »Ich komme mir vor, als hätte mir eine donnernde Riesenwelle den Schädel eingeschlagen und würde mir mit dem Rückstrom das Gehirn aussaugen.«
»Du hast es geschafft«, sagte ich zu Orson.
Sasha hatte mit einer Hand über dem Stück Pizza für den Hund gefächelt, damit der Käse nicht so heiß war, daß er an seinem Gaumen kleben blieb und Orson sich verbrannte. Nun stellte sie den Teller auf den Boden.
Orson wedelte so heftig mit dem Schwanz, daß dieser gegen Tisch- und Stuhlbeine schlug, als er sich anschickte, uns zu beweisen, daß hohe Intelligenz nicht unbedingt etwas mit guten Tischmanieren zu tun hat.
»Muschi«, sagte Bobby. »Ein einfacher Name. Ein Katzenname. Mieze.«
Während wir Pizza aßen und Bier tranken, spendeten die drei flackernden Kerzen kaum ausreichend Licht, daß ich etwas auf den gelben, linierten Seiten des Notizblocks lesen konnte, auf die mein Vater eine knappe Zusammenfassung der Umtriebe in Fort Wyvern niedergeschrieben hatte, der unerwarteten Entwicklungen, die sich zur Katastrophe hochgeschaukelt hatten, und des Ausmaßes der Verstrickung meiner Mutter. Obwohl Dad kein Wissenschaftler war und nur – größtenteils mit laienhaften Begriffen – wiedergeben konnte, was meine Mutter ihm erzählt hatte, stellte das Dokument, das er mir hinterlassen hatte, eine Fundgrube an Informationen dar.
»›Ein kleiner Lieferjunge‹«, sagte ich. »Das hat Lewis Stevenson gestern abend zu mir gesagt, als ich ihn fragte, was ihn zu dem gemacht habe, was er nun sei. ›Nur ein kleiner Lieferjunge, der nicht sterben wollte.‹ Er sprach von einem Retrovirus. Offensichtlich hat meine Mutter eine Theorie über einen neuen Retrovirus erstellt… eines mit der Selektivität eines Retrotransposons.«
Als ich von Dads Notizen aufschaute, starrten Sasha und Bobby mich verständnislos an.
»Orson weiß wahrscheinlich, wovon du sprichst, Bruder, aber ich bin frühzeitig vom College abgegangen«, sagte Bobby.
»Ich bin Diskjockey«, sagte Sasha.
»Und eine gute«, sagte Bobby.
»Danke.«
»Auch wenn du zu viel Chris Isaak spielst«, fügte er hinzu.
Diesmal trat der Blitz nicht wie auf einer Leiter vom Himmel hinab, sondern fiel senkrecht und schnell, wie ein brennender Schnellaufzug voller Sprengstoff, der detonierte, als er auf die Erde prallte. Die gesamte Halbinsel schien einen Satz zu machen, das Haus erzitterte, und Regen prasselte wie Trümmerstücke auf das Dach.
Sasha schaute zu den Fenstern. »Vielleicht mögen sie keinen Regen«, sagte sie. »Vielleicht halten sie sich fern.«
Ich griff in die Tasche meiner Jacke, die über der Stuhllehne hing, und zog die Glock. Ich legte sie auf den Tisch, damit ich schneller an sie herankam, und verbarg sie, wie Sasha es vorgemacht hatte, unter einer Papierserviette.
»Hauptsächlich in klinischen Versuchsreihen haben Wissenschaftler viele Krankheiten mit unterschiedlichen Gentherapien behandelt – Aids, Krebs, Erbkrankheiten. Dahinter steckt folgender Gedanke… Wenn der Patient bestimmte schadhafte Gene hat oder ihm gewisse Gene vielleicht völlig fehlen, ersetzt man die schlechten Gene durch funktionsfähige Kopien oder fügt die fehlenden Gene hinzu, damit seine Zellen besser gegen eine Krankheit ankämpfen können. Es hat ermutigende Ergebnisse gegeben. Eine wachsende Anzahl bescheidenerErfolge. Und auch Mißerfolge, unangenehme Überraschungen.«
»Es gibt immer einen Godzilla«, sagte Bobby. »Im einen Augenblick läuft in Tokio alles wie am Schnürchen, alle sind glücklich und zufrieden – und dann stampft ein riesiger Echsenfuß alles platt.«
»Das Problem besteht darin, die gesunden Gene in den Patienten zu kriegen. Hauptsächlich werden verkrüppelte Viren benutzt, um die Gene in die Zellen zu befördern. Die meisten davon sind Retroviren.«
»Verkrüppelte Viren?« fragte Bobby.
»Das bedeutet, sie können sich nicht reproduzieren. Auf diese Weise stellen sie keine Bedrohung für den Körper dar. Nachdem sie das menschliche Gen in die Zelle befördert haben, können sie es sauber mit den Chromosomen der Zelle verspleißen.«
»Lieferjungen«, sagte Bobby.
»Und nachdem sie ihre Aufgabe erledigt haben«, sagte Sasha, »sterben sie einfach?«
»Manchmal verschwinden sie nicht so einfach wieder«, sagte ich. »Sie können
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