Geschwister - Liebe und Rivalitaet
gemeinsam erarbeiteten Erfolg mit dem Beharren auf einer humanen Utopie brüderlicher Solidarität auf den 62. Internationalen Filmfestspielen von Berlin 2012 für ihr Gesamtwerk mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurden.
Ich habe die Schwestern Brontë und die Brüder Grimm und Taviani zitiert, weil sie besonders plastische Beispiele für dasebenso spielerische wie schöpferische Prinzip der Konkurrenz darstellen, zumal dann, wenn sie sich auf ein Gebiet gleichen Interesses bezieht. Das macht die Faszination der auffallend vielen, in der Regel gleichgeschlechtlichen Geschwisterpaare aus, die ihren Talenten im Zusammenspiel mit einer wechselseitigen Konkurrenz und Zuneigung ihren Erfolg und ihre Berühmtheit verdanken. Bekannte Beispiele sind die Politiker John F. und Robert Kennedy oder Hans-Jochen und Bernhard Vogel, die zur Weltspitze gehörenden Sportlerinnen Susanne und Maria Riesch als Skifahrerinnen, Serena und Venus Williams als Tennisspielerinnen, die Rennfahrer Schumacher, die Bergsteigerbrüder Messmer oder die Schauspieler Meret und Ben Becker und die antifaschistischen Geschwister Scholl. Wenn es so viele berühmte Geschwisterpaare gibt, die konstruktiv miteinander konkurrieren, um wie viel größer muss die Zahl eng zusammenarbeitender Geschwister ohne den Status der Berühmtheit sein! Auch wenn sich daraus sicher keine Regel ableiten lässt und die meisten Geschwister im frühen Erwachsenenalter getrennte Wege einschlagen, dürfte auch bei vielen von ihnen das Bewusstsein einer möglichen Kooperation latent erhalten bleiben. In diesen Fällen reicht allein die Gewissheit, jederzeit darauf zurückgreifen zu können, für das Gefühl der Zusammengehörigkeit aus.
Unabhängig vom Faktor der kooperativen Konkurrenz wandeln sich im frühen Erwachsenenalter unter dem Einfluss völlig neuer Lebensanforderungen jedoch auch die Gefühlsqualitäten zwischen den Geschwistern. Der stürmische und abenteuerliche Aufbruch der Pubertät und Adoleszenz, die Partizipation an der explosiven Entfaltung individueller Interessen und Begabungen, das gemeinsame Erwachen aus der Kindertraumwelt und die schwärmerische Bewunderung füreinander – alles dies ist jetzt in festere Bahnen gelenkt; das Gemeinsame tritt zurück, die Verschiedenartigkeit entwirft sich in eine selbstständig gestalteteLebensumwelt. Damit versachlichen sich auch die Geschwistergefühle. Anerkennung, Achtung, Respekt und eine milde Form der Zuneigung drücken das Vertrauen aus, mit dem man den anderen jetzt gehen lassen kann, ohne ihn innerlich aufzugeben. Im frühen Erwachsenenalter bewährt sich die Geschwisterliebe in ihrer Distanz. Jeder muss sein Leben alleine in die Hand nehmen, muss sich selbst erfahren. Eine wirkliche Selbst-Ständigkeit zu erlangen erlaubt keine Einmischung. Konstruktive Konkurrenz findet eher aus der Entfernung statt.
Aber gerade im frühen Erwachsenenalter steht die Geschwisterliebe oft vor großen Herausforderungen, an denen sie sich bewähren muss. Während in der Pubertät und Adoleszenz die Krise der Identitätsfindung hauptsächlich innerlich ausgetragen werden muss, ist die Periode zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr häufiger durch äußere Konflikte und das Scheitern an konkreten Lebensaufgaben gefährdet. Viele Menschen in diesem Alter versagen in ihrer Berufsausbildung oder bleiben weit hinter den gesteckten Zielen zurück; anderen gelingt es nicht, eine stabile Partnerschaft aufzubauen, geschweige denn eine Familie. Was für eine große Gruppe junger Erwachsener in ihrer Jugend zu vorübergehenden Krisenerscheinungen gehörte, chronifiziert sich für einen Teil von ihnen zu einer dauerhaften Form von der Verweigerung und Ablehnung aller gesellschaftlichen Normen und Anforderungen.
Mit diesen Hinweisen soll der tiefe seelische und soziale Umbruch im frühen Erwachsenenalter angedeutet werden, der viele Menschen mit einem psychosozialen Scheitern bedroht. Dabei dürfte der Verlust des familiär stützenden Umfeldes und die erstmalige Aufgabe, das Leben allein bewältigen zu müssen, von ursächlicher Bedeutung sein.
In dieser Situation kann die Geschwisterliebe auf eine ernsthafte Probe gestellt werden. Sie erfordert neue Qualitäten der Beziehung, um dem anderen bei der Überwindung dieser phasentypischenSchwierigkeiten zu helfen: Vertrauen, Verständnis, Treue, Verantwortung, Toleranz, Loyalität, Verzeihung, Solidarität, Trost und Fürsorge.
Es handelt sich hierbei um ein höher organisiertes
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