Geschwister - Liebe und Rivalitaet
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Zum Glück sind in den meisten Geschwisterbeziehungen solche Gefühlsturbulenzen vorübergehender Natur. Die Chancen der Geschwisterliebe in die weitere Zukunft hinein wachsen mit der Fähigkeit, das Fremde im Partner des Geschwisters zu akzeptieren und als Neues zu integrieren. Nur so kann die Partizipation und Intimität in der Geschwisterliebe zu ihrer erwachsenen Form erweitert und abgerundet werden.
7. Geschwisterliebe in der Bewährung.
Frühes Erwachsenenalter (20. bis 30. Lebensjahr)
»Es war ein Mann, der hatte drei Söhne und weiter nichts im Vermögen als das Haus, worin er wohnte. Nun hätte jeder gerne nach seinem Tode das Haus gehabt, dem Vater war aber einer so lieb als der andere, da wusste er nicht, wie er’s anfangen sollte, dass er keinem zu nahe trat … Da fiel ihm endlich ein Rat ein, und er sprach zu seinen Söhnen: ›Geht in die Welt und versucht euch, und lerne jeder sein Handwerk, wenn ihr dann wiederkommt, wer das beste Meisterstück macht, der soll das Haus bekommen.‹«
So beginnt das Grimm’sche Märchen »Die drei Brüder«. Es hebt sich wohltuend von den unzähligen Geschichten über Bruderrivalität, Bruderhass und Brudermord ab, die uns das Bild einer primär unversöhnlichen Beziehung zeichnen wollen. »Da waren die Söhne zufrieden.« Die Aussicht, das Haus zu erben, spornt sie an, sie lernen ein Handwerk, und als sie zurückkehren, führen sie dem Vater wahre Wunderleistungen ihres Könnens vor. Dieser staunt nicht schlecht und gibt schließlich dem dritten Sohn das Haus. »Die beiden anderen Brüder waren damit zufrieden, wie sie vorher gelobt hatten, und weil sie sich einander so lieb hatten, blieben sie alle drei zusammen im Haus und trieben ihr Handwerk.«
Konkurrenz entstammt dem Lateinischen und bedeutet in erster Linie »zusammenlaufen« und »Wettstreit«. Das Englische benutzt dafür den Begriff »competition«, das ebenfalls lateinischen Ursprungs ist und dort »gemeinsam erstreben« und »Mitbewerber« meint. Competition ist in der Regel an das »fair play«, das »ehrliche Spiel«, gebunden. Im Gegensatz dazu hebt der ebenfalls vom Lateinischen abgeleitete Begriff »Rivalität«mit seiner Übersetzung als »Nebenbuhlerschaft« eindeutiger das feindliche Element in der jeweiligen Beziehung hervor. Im allgemeinen Sprachgebrauch und in der Wissenschaft werden die Grenzen oftmals verwischt. Eine klare Unterscheidung erscheint mir jedoch gerade zum Verständnis von Geschwisterbeziehungen wichtig; ich werde daher im Folgenden die Begriffe Konkurrenz im Sinne von »konstruktiver Konkurrenz« und Rivalität im Sinne von »destruktiver Rivalität« benutzen.
In jeder Geschwisterliebe gehört die Konkurrenz von klein an zum Motor einer lustvoll erlebten Weiterentwicklung. Die spielerische Freude des gemeinsamen »Wettlaufs« und das friedliche Kräftemessen in seinen vielen Varianten steigern die eigenen Fähigkeiten in allen körperlichen und geistigen Bereichen.
Die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm, die selbst durch ein lebenslanges Arbeitsbündnis und eine enge emotionale Beziehung miteinander verbunden waren, haben dem »konstruktiven Zusammenlaufen« noch in einem anderen Märchen ein heiteres Denkmal gesetzt. »Die vier kunstreichen Brüder« verlassen ihr Elternhaus, trennen sich, um ihr »Glück zu versuchen«, und verabreden ein Wiedersehen in vier Jahren. Jeder findet seinen Meister, und als sie zurückkehren, retten sie eine Königstochter aus den Fängen eines Drachen. Das Kunststück gelingt ihnen nur durch gemeinsames Handeln, indem sie ihre ausgefallenen Fähigkeiten als Sterngucker, Dieb, Schneider und Jäger zusammentun. Ganz uneigennützig sind sie dabei natürlich nicht. Jeder behauptet, nur durch seine Fähigkeiten sei ihnen der Streich gelungen, und deswegen könne er die Königstochter beanspruchen. Der Streit wird vom König salomonisch entschieden: »Jeder von euch hat ein gleiches Recht, und weil ein jeder die Jungfrau nicht haben kann, so soll sie keiner von euch haben, aber ich will jedem zur Belohnung ein halbes Königreich geben.« Den Brüdern gefiel diese Entscheidung,und sie sprachen: »Es ist besser so, als dass wir uneins werden.«
Keine Geschwisterliebe ist ohne Konflikt und gelegentlichen Streit zu haben. Aber wo die Bereitschaft zu einer friedlichen Lösung und das Gefühl für Gerechtigkeit vorhanden sind, können auch widerstreitende Interessen ausgeglichen werden. »Jeder hat ein gleiches Recht.«
Beide
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