Geschwister - Liebe und Rivalitaet
abschirmt. In der konstruktiven Konkurrenz einer unverbrüchlichen Geschwisterliebe schreiben sie sich alle von Kindergeschichte zu Kindergeschichte ihre leidenschaftlichen Obsessionen von der Seele, die, nachdem der Bruder gescheitert ist, von den Schwestern zwischen ihrem 27. und 30. Lebensjahr zu Romanen verdichtet werden, die Weltruhm erlangen. Etwa zur gleichen Zeit, um 1847, erscheint von Charlotte »Jane Eyre«, von Emily »Sturmhöhe« und von Anne »Agnes Grey«. Die ähnlich begabten und in den Grenzen der damaligen Zeit in gleicher Weise geförderten Schwestern entwickeln bei aller Verschiedenartigkeit ihres Charakters aus dem Fundus ihrer Zusammengehörigkeit eine Form der Kooperation und Koexistenz, die ihre jeweiligen Fähigkeiten erst voll zur Entfaltung bringt. Unter solchen Bedingungen kann sich auch die Geschwisterliebe im frühen Erwachsenenalter optimal ausdifferenzieren. Dagegen scheitert der Bruder trotz seiner ursprünglichen Begabungan dem übermäßigen Anspruch, der besonders von seinem Vater an ihn als den einzigen Sohn gestellt wird, und womöglich auch an der Übermacht der Schwestern, deren geballter Kreativität er nicht gewachsen war. Aber seine Liebe zu ihnen lässt die Konkurrenz nicht in destruktive Rivalität umschlagen, sondern verwandelt sich in eine selbstzerstörerische Sucht. Er stirbt mit 31 Jahren an den Folgen seiner Alkohol- und Opiumabhängigkeit – sicher nicht zufällig kurz nach dem Erscheinen der großen Romane seiner Schwestern.
Ich möchte das Prinzip der konstruktiven Konkurrenz noch an zwei weiteren Beispielen illustrieren, nicht nur, weil das Prinzip wichtige Grundzüge der Geschwisterliebe im frühen Erwachsenenalter aufhellt, sondern weil sich solche Biografien ermutigend gegen die bevorzugte Darstellung destruktiver Geschwisterbeziehungen behaupten. Gemeint sind die bereits zitierten Brüder Grimm und, in die Gegenwart reichend, die Brüder Taviani.
In seiner »Rede auf Wilhelm Grimm« beschreibt der ein Jahr ältere Bruder Jacob die bis in die Kindheit zurückreichende, kooperative Basis ihrer Beziehung: »So nahm uns denn in den langsam schleichenden Schuljahren ein Bett auf und ein Stübchen, da saßen wir an einem und demselben Tisch arbeitend, hernach in der Studienzeit standen zwei Betten und zwei Tische in derselben Stube, endlich bis zuletzt in zwei Zimmern nebeneinander, immer unter einem Dach in gänzlicher unangefochten und ungestört beibehaltenen Gemeinschaft unserer Habe und Bücher.« (Jacob blieb unverheiratet und lebte mit der Familie seines Bruders in einem Haus. H. P.) »Auf der Universität hatten wir, einer wie der andere, dasselbe Studium ergriffen, das der Rechtswissenschaft … Keinem von uns beiden, die wir mit Ernst und Eifer studierten, hat die erworbene Rechtskenntnis hernach zu irgend einer Stellung im Lande verholfen … Wir hatten eine lange schon genährte Neigungausbildend unser Ziel auf Erforschung der einheimischen Sprache und Dichtkunst gestellt … Es war uns gelungen wieder zusammen an der nemlichen Bibliothek eine Stellung zu finden, die unsere Pläne und Vorsätze begünstigte. Nun galt es stille, ruhige Arbeit und Sammlung, die sich Jahre lang nur selbst genügen konnten. Es waren die glücklichsten Jahre unseres Lebens … Nach diesen gemeinschaftlichen, mit aller Lust gepflogenen Arbeiten trat aber eine Wendung ein, die nun wieder getrennte und von einander abweichende Schritte forderte. Dass jeder seine Eigentümlichkeit wahren und walten lassen sollte, hatte sich immer von selbst verstanden, wir glaubten, solche Besonderheiten würden sich zusammenfügen und ein Ganzes bilden können.« 22
Von dieser Haltung scheint auch die Kooperation der Filmbrüder Taviani bestimmt zu sein, die alle ihre Filme gemeinsam gedreht haben. Die Biografin Valeria Patané beschreibt sehr anschaulich die tägliche Zusammenarbeit des zwei Jahre älteren Vittorio und seines Bruders Paolo in Rom, ihre enge Verbundenheit während der Dreharbeiten ebenso wie bei der Gestaltung des Privatlebens. Nicht zufällig sind in vielen ihrer Filme Geschwister die Protagonisten, und zwar ganz im Sinn einer produktiven Konkurrenz im gemeinschaftlichen Handeln. So begleitet der Film »Good morning Babylon« (1987) zwei Brüder bei der Auswanderung nach Amerika, wo sie als qualifizierte Restaurateure durch die Herstellung billiger Filmkulissen überleben. 23
Man darf vermuten, dass Vittorio und Paolo Taviani nur durch ihren
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