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Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Titel: Geschwister - Liebe und Rivalitaet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Petri
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Mitteln unterstützt werden. Dazu gehörte die Begleitung der Patientin nach Spanien durch einen hiesigen Therapeuten, die Hilfe bei der Suche nach der Schwester und für beide die Klärung weiterer therapeutischer Maßnahmen in ihrem angestammten Kulturraum. Für den letzteren Gesichtspunkt war ausschlaggebend, dass die sprachliche und kulturelle Entwurzelung durch den Umzug nach Deutschland die Destabilisierung der Patientin beschleunigt hatte.
    Die Folgen struktureller Ungeborgenheit werden nicht erst in der Jugend, sondern bereits in der Kindheit sichtbar. Geschwister aus sozial schwierigen und benachteiligten Verhältnissen oder aus broken-home-Situationen, Geschwister, die Opfer eines jahrelangen Machtkampfes ihrer Eltern in Scheidungskonflikten geworden sind oder die in anderer Weise einem sozialpathologischen Familienmilieu entstammen, werden immer vor großen Schwierigkeiten stehen, in den Wirren des äußeren Chaos an ihrer Liebe festzuhalten. Das Zusammenwirken individueller und gesellschaftlicher Faktoren bei solchen Entgleisungen des familiären Gleichgewichts ist mit einem doppelten Verlust verbunden, dem Verlust innerer wie äußerer Sicherheit. Der kindliche Reifungsprozess wird somit auf zwei wichtigen Ebenen erschüttert und führt zur schweren Desorientierung auf der Suche nach der eigenen Identität. Die Entwicklung der Geschwisterliebe kann davon schwer betroffen sein, da die Liebesfähigkeit, wie wir bereits an früherer Stelle sahen, von Kindheit an von der Stabilität beziehungsweise der Instabilität des eigenen Selbstwertes abhängt.
    Ich habe jedoch den Begriff der strukturellen Ungeborgenheit erst in diesem Kapitel eingeführt, weil die Entzweiung der Geschwister ab der Pubertät dramatische Formen annehmen kann und unter dem Einfluss des pubertären Triebschubs die Geschwisterkämpfe härter ausgetragen werden. Aus der Vielzahl der Ursachen für die wachsenden Auseinandersetzungen möchte ich einige beschreiben, die mir besonders repräsentativ erscheinen. Grundsätzlich gilt: Je strukturell ungeborgener ein Familienmilieu ist, umso mehr neigen Eltern dazu, eins der Geschwister in besonderer Weise an sich zu binden, um dadurch ein Stück innerer Stabilität zu erhalten. Erst ab der Pubertät und der erreichten Geschlechtsreife eignen sich Kinder bevorzugt für zwei Rollen, die wegen ihrer Verbreitung schon früh von der Familienforschung erkannt wurden: den Partnerersatzund die Parentifizierung. Beide Rollenzuschreibungen kommen auch in äußerlich intakten Familien vor, werden dort jedoch im Allgemeinen weniger intensiv ausgelebt und wirken sich daher auch nicht so zerstörend auf die Geschwisterbeziehung aus.
    Die Hintergründe für die erste Rollenzuschreibung sind leicht verständlich und recht bekannt. Bei Ausfall eines Partners durch Tod, Trennung oder die innere Zerrüttung der Paarbeziehung erweist sich häufig ein gegengeschlechtliches Kind als idealer Partnerersatz mit einer hohen emotionalen Bindungskraft. Es kann umso mehr mit idealisierenden Erwartungen besetzt werden, als es für die reale Rolle eines Partners ausscheidet. Die Überschreitung der Grenzen, wie sie zum Beispiel beim Inzest geschieht, ist deswegen meistens mit einer anschließenden Entwertung verbunden, weil der Widerspruch zwischen der Sehnsucht nach einem realen Partner und dem Kind als Partnerersatz sich als unlösbar erweist.
    Es sind die idealisierenden Erwartungen an den Partnerersatz, die die Geschwisterbeziehung auseinandertreiben. Denn in ihnen wird festgeschrieben, wer der eigentliche »Liebling« unter den Kindern ist. Besonders unter der Bedingung struktureller Ungeborgenheit nimmt das auserwählte Kind die Rolle an, weil sie alle Vorteile des Favoritentums garantiert und Defizite in anderen Bereichen ausgleichen hilft. Aus der emotionalen Verklammerung zwischen einem Elternteil und dem Partnerersatz folgt fast automatisch die Nichtbeachtung oder sogar die Ausstoßung der übrigen Geschwister, weil sie das »Liebesverhältnis« stören. Eifersucht, Neid, Rivalität und Hass werden durch solche Konstellationen verständlicherweise besonders geschürt und können sich vehement zwischen den Geschwistern entladen.
    In vollständigen Familien mit einem Bruder-Schwester-Paar kommt es bei einer gestörten Partnerbeziehung zwischenden Eltern nicht selten zu Über-Kreuz-Bindungen. Nachdem ein Elternteil sein Partnersubstitut »erwählt« hat, zieht der andere Elternteil nach, indem er sich an das

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