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Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Titel: Geschwister - Liebe und Rivalitaet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Petri
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Mutter, aber auch wegen ihrer nachlassenden Schulleistungen und persönlichen Schwierigkeiten auf größere Distanz ging.
    »Ich wurde immer neidischer auf Jenny und fühle mich in der Familie isoliert, habe das alles aber runtergeschluckt und mir nichts anmerken lassen, weil ich dadurch die Ablehnung der anderen nur vergrößert hätte«, klagte Anna in einer Behandlungsstunde,nachdem ihr eine schlimme Szene mit Jenny und ihrem Halbbruder einfiel. Es war vor knapp einem Jahr, als Jenny anlässlich eines banalen Streits zu ihr sagte:
    »Was willst du eigentlich noch hier? Geh doch für immer zu deiner Mutter. Du bist doch noch ein Baby, hast keinen richtigen Busen und keinen Freund, und das Abitur wirst du auch niemals schaffen.«
    Der anwesende, etwa fünfjährige Bruder rannte daraufhin im Kreis um sie herum, bewarf sie mit herumliegendem Spielzeug und schrie immerzu:
    »Hau ab, blöde Anna, hau endlich ab!«
    »Ich stand wie erstarrt in der Mitte und konnte nichts mehr sagen«, fuhr Anna fort. Seitdem hätten sich ihre Symptome und Probleme akut verschärft. Kurze Zeit später sei sie tatsächlich endgültig zur Mutter gezogen, während Jenny die Schule wechselte. Das Paradies der Patchwork-Familie war zerbrochen. Anna litt auch darunter, dass sie ihren Vater seit der Zeit nur noch zu seltenen Anlässen traf und ihre Gespräche unpersönlich und oberflächlich blieben.
    Und Hanno? Wie ging es ihm mit den beiden älteren und dominierenden Halbschwestern? Ich habe Anna etwa ein Jahr nach Beginn der Therapie danach gefragt.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie, »nach meinem Auszug verstehen wir uns wieder besser, wenn wir uns mal sehen. Aber glücklich scheint er auch nicht zu sein.«
    Für seine erst sieben Jahre sei er sehr aufsässig, aggressiv und launisch. Er habe keine Freunde und sei ein schlechter Schüler.
    »Ich glaube, Franz und Rose«, sie nannte ihren Vater und ihre Stiefmutter beim Vornamen, »und später auch Jenny haben ihn viel zu sehr verwöhnt. Er war nicht nur das Nesthäkchen, sondern auch der ersehnte gemeinsame Sohn, während es mit uns Schwestern doch immer etwas schwierig war.«
    Ich bekam den Eindruck, bei Hanno braute sich etwas zusammen, was erst in der Pubertät als schwere Identitätskrise zum Ausbruch kommen könnte. Seine gesicherte Position als leiblicher Sohn verhinderte nicht die Beschäftigung mit den Geheimnissen um die beiden Schwestern, die eine für ihn undurchschaubare Geschichte als ebenfalls leibliche Töchter jeweils eines Elternteils mit sich herumtrugen. Welchen Platz nahm er selbst in der Unübersichtlichkeit der anwesenden Personen und der irgendwo außerhalb der Familie lebenden, aber offenbar bedeutungsvollen Elternteile und deren Verwandtschaft ein? Wie erwünscht war er wirklich auf dem Hintergrund dieser verworren wirkenden Vergangenheit?
    Familien sind dynamische Systeme, in denen sich alle Mitglieder auf sich ständig verändernde Bedingungen des Zusammenlebens neu einstellen müssen, wie die Natur auf den Wandel der Jahreszeiten. Je mehr Faktoren auf diesen Prozess einwirken und je schneller die Abfolge der Veränderungen eintritt, umso stärker wird der Anpassungsdruck für jeden Einzelnen. Entsprechend ausgeprägt können die dabei auftretenden Spannungen und Konflikte zwischen den Familienmitgliedern sein. Wie das Beispiel von Anna und Jenny zeigt, wachsen in einem zusammengesetzten System aus leiblichen, Stief- und Halbgeschwistern die Gefahren solcher diskontinuierlichen Entwicklungen deswegen so stark an, weil sich in ihm nicht nur jeder Einzelne im Laufe seiner Entwicklung verändert und die Lebensbedingungen für alle gemeinsam einem Wandel unterliegen; entscheidend ist, dass jedes der Geschwister ein psychisch mehr oder weniger belastetes Schicksal in die neuen Beziehungen mit einbringt. Sicher sind einem Großteil heutiger Eltern, die eine Schicksalsgemeinschaft mit einer gemischten Geschwistergruppe eingehen, solche Gefahren bewusst. Deswegen nehmen sie ihre Verantwortung an und bemühen sich um einen gerechten Ausgleich divergierender Interessenund Bedürfnisse und um eine liebevolle Beziehung zu allen Kindern. Aber viele Eltern sind noch zu konflikthaft in ihre eigene Vergangenheit und Geschichte mit dem Expartner verwickelt oder werden von diesem in dauernder Spannung gehalten. Unter diesen Bedingungen fehlt ihnen oft die notwendige Empathie. Dann verstehen sie die tieferen Gründe für geschwisterliche Zerwürfnisse nicht und negieren die

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