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Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Titel: Geschwister - Liebe und Rivalitaet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Petri
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Unvereinbarkeiten zwischen den Geschwistern, die solche Konstellationen häufig mit sich bringen. Stattdessen wollen sie ein friedliches Einvernehmen erzwingen. Dadurch kann der Widerstand einzelner Geschwister gegen die neue Lebensform und ihre beteiligten Personen erheblich geschürt werden. Hier sind mehr Aufklärung, mehr Beratungen und in Einzelfällen mehr Therapien die Mittel der Wahl, um das schwierige Los vieler Stief- und Halbgeschwister, ihrer leiblichen Geschwister und auch ihrer Eltern zu mildern.

15.   Der Streit um das Erbe
    Sein 1 7-jähriger Sohn hatte sich nachts heimlich die Wagenschlüssel genommen. Auf einer Landstraße unweit des Hauses verunglückte er tödlich, als er wegen überhöhter Geschwindigkeit aus der Kurve getragen wurde. Der Vater, der für einige Stunden zur Krisenintervention in meine Beratung kam, weinte während des Berichtes. An späterer Stelle schilderte er eine Begebenheit, die mich erst recht bestürzte. Bei der Beerdigung habe ihn sein eigener Bruder nicht gegrüßt, geschweige denn ein Wort oder eine Geste des Trostes gefunden. Als Grund für das zunächst völlig unverständliche Verhaltennannte er eine Erbauseinandersetzung einige Jahre zuvor. Sein vier Jahre älterer Bruder habe das Geschäft seines Vaters geerbt und zusätzlich seinen Pflichtanteil an dem verbliebenen Vermögen eingeklagt, das die Eltern für ihn, den Patienten, bestimmt hatten. Deswegen habe er sich auch gerichtlich gegen die Forderung des Bruders gewehrt. Seit der Zeit hätten sie nicht mehr miteinander gesprochen.
    Da sich der Mann in einer schweren suizidalen Krise befand, schrieb ich dem Bruder ein paar Zeilen über die Bedeutung der Versöhnung zwischen zerstrittenen Geschwistern angesichts eines existenziellen Unglücks, wie es der Tod eines Kindes darstelle. Der Bruder rief mich sofort an. Den Erbstreit erwähnte er nicht. Als Erklärung für sein Verhalten sprach er dagegen über seine tiefe Enttäuschung über den jüngeren Bruder. Dieser habe zeit seines Lebens die Hilfe der Eltern in Anspruch genommen, sei aber nur unwillig und kurz zu einem Besuch bei ihnen im Altenheim erschienen, als er einige Zeit vor ihrem Tod zufällig in der Gegend war. Er selbst habe sich, nicht nur bedingt durch die Wohnnähe, in den letzten schwierigen Jahren intensiv um die alten Eltern gekümmert, während sie seinem verwöhnten Bruder fast gleichgültig waren.
    Diese Beobachtung bildet den entscheidenden Grund für meine Annahme, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der Pflege der Eltern, ihrem Tod und dem Erbe geben muss. Alle drei Ereignisse werden in der Literatur als gesonderte Tatsachen behandelt. Da sie aber besonders häufig zum Anlass meist heftiger Geschwisterkonflikte werden, erscheint es mir sinnvoll, der Frage des inneren Zusammenhangs zwischen ihnen genauer nachzugehen.
    Wer sorgt sich um die Eltern, wenn sie krank und hinfällig werden? Wer nimmt sie in die eigene Familie auf und pflegt sie dort? Wer kümmert sich um ihre anderweitige Unterbringung, wenn eine Aufnahme in der Familie der Kinder nicht möglichist? Wer unterstützt sie finanziell am stärksten, wenn sie auf diese Hilfe angewiesen sind? Wer besucht sie am häufigsten, schreibt ihnen, tröstet sie und begleitet sie in den letzten Stunden des Lebens? Grundfragen menschlicher Erfahrung. In der Vorbereitung auf den letzten Abschied von den Eltern verdichtet sich noch einmal die lebensgeschichtliche Beziehung zu ihnen. Deswegen besitzt diese Lebensphase einen so hohen emotionalen Stellenwert für alle Geschwister. Entsprechend erreicht in dieser Zeit das Konfliktpotenzial zwischen ihnen einen letzten und, wie wir sehen werden, dramatischen Höhepunkt. Dabei bilden die drei Hauptanlässe für jetzt aufbrechende Geschwisterkonflikte, die Pflege der Eltern, ihr Tod und das Erbe, nur die Oberfläche des affektiven Geschehens. In dem Beispiel der zitierten Brüder geben beide eine plausible Erklärung für ihre wechselseitige Enttäuschung: Der Jüngere fühlt sich um den ihm zustehenden Erbanteil geprellt, der Ältere wirft dem anderen Undankbarkeit und Eigennutz vor. Diese Gründe können schwerwiegend sein und einen heftigen Streit durchaus rechtfertigen. Aber reichen sie aus, die Tiefe des Zerwürfnisses zu erklären? Die Reaktion des älteren Bruders, dem jüngeren am Grab seines Sohnes jedes Mitleid, jeden Trost und jede Versöhnung zu verweigern, stellt eine Grenzüberschreitung dar, bei der ein ehernes Gesetz, eine »heilige

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