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Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Titel: Geschwister - Liebe und Rivalitaet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Petri
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womit kann ich helfen, wird meine Hilfe überhaupt erwünscht, nützt meine Hilfe etwas, kenne ich den anderen gut genug, um zu wissen, was er braucht? Die Frage »Will ich überhaupt helfen?« stellt sich in der Regel erst dann, wenn Hilfsangebote wiederholt zurückgewiesen wurden. Zurückweisung reduziert nicht nur die Hilfsbereitschaft, sondern führt zur gekränkten und wütenden Abgrenzung. Dadurch wird aber die Hilflosigkeit, die Ohnmacht und das Schuldgefühl verstärkt, helfen zu wollen, auch helfen zu müssen, aber nicht helfen zu können. Am Schnittpunkt der beiden Kreisläufe, in die das hilfsbedürftige und das sorgende Geschwister jedes auf seine Weise eingeschleust sind, kann sich der sado-masochistische Konflikt explosionsartig entladen. Es ist wie ein funkensprühender Kurzschluss, bei dem die aufgestauten Gefühle in Form von wechselseitigen Vorwürfen, Anklagen, Schuldzuweisungen, Entwertungen und anderen aggressiven Äußerungen bis hin zu körperlich gewalttätigen Handlungen zum Ausbruch kommen. Es ist das Drama einer tiefen Verzweiflung auf beiden Seiten, das das Gefühl desScheiterns bei dem einen und das Schuldgefühl bei dem anderen Geschwister lebenslang verfestigen kann. Ein solcher Verlauf ist typisch für Geschwisterbeziehungen, die im vollständigen Kontaktabbruch enden. Aber da dieser nichts löst, bindet er die Geschwister umso fester, wenn auch unsichtbar, in Schuld und Einsamkeit zusammen. Erst der Tod, so scheint es, kann sie davon befreien.
    Der tragische Tod von Thomas in dem beschriebenen Fall wird im Kontext der Geschichte zur Chiffre für die ausweglose Konsequenz eines unbewältigten Hilfeproblems nicht nur zwischen Eltern und Kindern sondern auch zwischen Geschwistern – der Tod als Symbol des endgültigen Kontaktverlustes und des Verlassenseins.

14.   Das Leben mit Stief- und Halbgeschwistern
    Ein Buch über Geschwister kommt heute nicht mehr ohne die Berücksichtigung von Stief- und Halbgeschwistern aus. Auch wenn verlässliche Zahlen fehlen, dürfte deren Anteil an der Gesamtgeschwisterzahl durch den Umbau der traditionellen Kernfamilie in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen haben. Nach allen demografischen Prognosen setzt sich dieser Trend fort, so dass die beiden Geschwistergruppen in der immer unübersichtlicher werdenden Familienlandschaft eine wachsende Rolle einnehmen werden.
    Es liegt an dieser Unübersichtlichkeit, dass Untersuchungen über Stief- und Halbgeschwister bisher sehr spärlich und in ihren Ergebnissen kaum vergleichbar sind. Es scheint ein fastaussichtsloses Unterfangen, allein die Vielfalt familiärer Konstellationen zu definieren und zu beschreiben, in denen leibliche Kinder auf Stief- und Halbgeschwister treffen, ob zusammen oder getrennt bei verschiedenen Elternteilen lebend.
    Eine dieser Konstellationen, die in den letzten Jahren unter dem Begriff Patchwork-Familie bekannt geworden ist und in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit erfahren hat, wird auch im Alltag von einer zunehmenden Zahl getrennter Familien praktiziert. Von den einen als Zukunftsmodell und ideale Alternative zur Kernfamilie hochgelobt, sind andere nach anfänglicher Euphorie durch die inzwischen vorliegenden Erfahrungen kritischer geworden. Die vorhandene Literatur über Patchwork-Familien unterstreicht die eher vorsichtige Sichtweise, da die Komplexität familiärer und geschwisterlicher Beziehungsgefüge und die damit verbundenen Risiken in dieser Familienform gegenüber der Normalfamilie um ein Vielfaches potenziert ist.
    Hier liegt auch der Grund, warum ich dieses Kapitel erst im zweiten Teil des Buches aufgenommen habe. Damit soll keineswegs geleugnet werden, dass es gelungene, liebevolle und sich wechselseitig ergänzende und fördernde Bindungen zwischen leiblichen und Stief- oder Halbgeschwistern gibt. Diese können auch dauerhafter und verlässlicher sein als zwischen leiblichen Geschwistern und bilden dann im gemeinsamen Erleben eine Einheit, die alle Gegensätze aufhebt. Aber solche günstigen Entwicklungen sind von zahlreichen Bedingungen abhängig, zum Beispiel vom Einzelkind- beziehungsweise Geschwisterstatus der leiblichen Kinder, oder vom Geschlecht der Geschwister, von ihrem Altersunterschied, von ihren vergleichbaren Temperamenten, intellektuellen Begabungen und sozialen Voraussetzungen. Aber vor allem sind sie das Ergebnis eines wechselseitig akzeptierenden und kooperativen Bündnisses zwischen allen beteiligten Elternteilen und Partnern.Solche

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