Geschwister - Liebe und Rivalitaet
Schäfte.‹
Der zweite folget ihm, versuchet sich daran,
Allein umsonst; der Jüngste es nicht besser kann.
›Ihr Schwachen‹, spricht darauf der Vater, ›lasst euch zeigen,
Dass meine Kräfte noch die euren übersteigen.‹
Sie halten es für Spott und lachen, aber sieh,
Er knüpft die Pfeile auf und bricht sie ohne Müh.
›Ihr seht‹, spricht er darauf, ›die Kraft der Einigkeit.
O Kinder, drum in Lieb vereinigt immer seid.‹
Und als sein Ende nah er fühlte, sagte er:
›Bald zu der Väter Schar nun werd ich mich begeben.
Lebt wohl, versprechet mir, wie Brüder stets zu leben.‹
Die Söhne alle drei versprachen es mit Weinen.
Sie reichten ihm die Hand; er stirbt, es finden nun
Die Brüder reiches Gut, doch viel damit zu tun.
Kurz ist die Freundschaft nur, die man so selten findet,
Der Eigennutz zerstört das Band, das sie verbindet.
Mit mannigfachem Rat schleicht sich zur gleichen Zeit
Der Ehrgeiz und der Neid in ihren Erbschaftsstreit.
Als all ihr Gut dahin, sahn sie zu spät erst ein,
Welch eine Lehre sollt im Bündel Pfeile sein.« 47
Durch Eigennutz, Ehrgeiz und Neid geht letztlich auch die Substanz verloren, auf der alle drei Brüder ihr weiteres Leben hätten aufbauen können: Nach dem Gleichnis der Fabel lässt sich das »reiche Gut« nicht nur als materieller Besitz deuten, es verkörpert auch die immateriellen Werte wie Zusammengehörigkeit, Einigkeit und Liebe. Zweifellos spielen in vielen Erbschaftskonflikten egoistische Interessen eine zentrale Rolle, sosehr die Eltern auch für Ausgleich und Gerechtigkeit gesorgt haben mögen. In diesen Fällen scheinen mir aber die Chancen für eine gütliche Regelung und Versöhnung günstiger zu sein als in Streitsituationen, die ihre Ursache in frühen Beziehungsstörungen im Eltern-Kind- oder Geschwisterverhältnis haben.
Ich möchte das Kapitel mit einer ganz persönlichen Erfahrung abschließen, die zeigt, dass Erbschaftskonflikte kein unvermeidbares Schicksal sind, das im Sinne eines Wiederholungszwangs von Generation zu Generation weitergegeben wird; die Geschwistergeneration kann auch Fehler vermeiden, die aus der Elterngeneration nachwirken.
Während ich dieses Kapitel schrieb, wurde mir immer bewusster, warum mich das Bruderschicksal meines Vaters bis heute beschäftigt hat. Ich hatte es nicht verstanden. Er war der ältere von zwei Brüdern, galt als der intelligentere von beiden, durfte studieren und wurde Brückenbauingenieur. Er setzte damit den sozialen Aufstieg seines Vaters fort, der sich autodidaktisch als Brunnenbauer spezialisiert hatte. Mein Vater sah immer mit leichter Verachtung auf seinen beruflich wenig erfolgreichenBruder herab, was uns als Kinder sehr störte, da wir den Onkel wegen seiner Herzlichkeit und Wärme alle mochten. Nach dem Tod der Eltern kam es zu einer nicht endenden Erbschaftsauseinandersetzung zwischen den Brüdern, die zu einem totalen Kontaktabbruch führte. Wir Geschwister waren damals fassungslos. Wie konnte man sich wegen einer Erbschaft so endgültig entzweien? Wir redeten auf unseren Vater ein, aber er war völlig verhärtet und sprach nie darüber. Selbst in den Jahren, in denen sein Bruder nach einem Schlaganfall schwer behindert sein Leben in einem Rollstuhl verbrachte, hat er ihn nie besucht.
Heute wird mir klar, dass ich offenbar die Verletzungen unterschätzt hatte, die mein Vater als Delegierter der Familie erlitten hat. Er sollte den beruflichen Erfolg und gesellschaftlichen Aufstieg der Familie garantieren. Als schlagender Corpsstudent entwickelte er einen entsprechenden Ehrgeiz und eine eiserne Disziplin, für die er viel Anerkennung von der Familie bekam. Aber die einfache Liebe und elterliche Wärme bekam der Jüngere. Wie auch immer das Testament ausgesehen haben mag – im Tod der Eltern und in ihrem »letzten Willen« muss sich meinem Vater das lebenslange und letztlich erfolglose Ringen um Liebe als entsetzliche Wahrheit enthüllt haben. Der verlorene Kampf ließ dann seinen kompensatorischen Dünkel gegenüber dem Bruder in einer scheinbaren Gefühlskälte erstarren. Kain und Abel.
Als meine beiden Schwestern und ich viele Jahre später in drei Tagen und Nächten den Hausstand unserer Eltern auflösten, verbrachten wir die meiste Zeit im Gespräch, sahen uns alte Fotos an, tauschten Erinnerungen aus, trauerten, weinten, aber lachten auch viel, weil viele Erlebnisse in einer Familie, aus größerem Abstand betrachtet, nur noch komisch sind. Über die Gegenstände,
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