Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
war auf der Lauer.
Werner hatte Luise am Vortag erklärt, ein Streik sei nicht auszuschließen. Nicht auszuschließen hieß aus Werners Mund so viel wie: höchst wahrscheinlich. Und zu dem Zeitpunkt war der Brief von Kurts Anwalt noch nicht einmal eingetroffen, der alles noch schlimmer machen sollte. Luise sah bereits ganze Horden von Arbeitern ihr Elternhaus belagern, mit grauen Brillengestellen und Igelhaarschnitten, mit Schnurrbärten und geringelten Pullovern, mit dem Geruch von altem Nikotin, der an ihrer Haut haftete, und selbst der Gärtner, der sich bei den Pfingstrosen herumtrieb, würde sich ihnen anschließen.
Der Verstand deines Vaters hat vor Jahren ausgesetzt. Aber das, was er uns jetzt zumutet, hätte ich ihm nicht zugetraut, sagte Carola und blickte ihre Tochter vorwurfsvoll an, als sei Luise dafür verantwortlich. Luise selbst fühlte sich durchaus noch bei Verstand, wenn auch nicht ganz bei Trost, aber es war nun einmal nicht sonderlich tröstlich, im Halbdunkel zu sitzen, von der Welt abgeschottet, nur weil der eigene Vater sein Leben ändern wollte.
Man macht Fehler, natürlich, aber dein Vater ist dabei überaus konsequent, auf einen Fehler lässt er einen noch größeren folgen, sagte ihre Mutter, erhob sich, schritt durch das Zimmer. Luise saß ein wenig zusammengesunken auf dem Sofa, was ihre Mutter mit einem despektierlichen Blick quittierte. Eine Frau, die etwas auf sich hielt, verlor nicht die Fasson, auch nicht, wenn sie am Ende war. Dann erst recht nicht. Carola Tietjen war das, was man eine hauptberufliche Ehefrau nennen konnte, sie hatte ihre ganze Kraft in ihre gerade Haltung, ihren perfekten Auftritt neben Luises Vater gesteckt, in das Herumkommandieren der Angestellten, sie besaß die richtigen Freundinnen, die richtigen Ohrringe, die richtige Figur, und einen Fehltritt erlaubte sie sich niemals. Wie eine Politikerin wusste sie, welche Sätze sie auf einer Veranstaltung an wen richtete, und sie musste es geschickter als jede Politikerin tun, denn es durfte niemals den Anschein haben, als sei es Politik. Und nun drohte Carola Tietjen den Beruf zu verlieren, den sie jahrelang so perfekt ausgeübt hatte.
Sie ermahnte ihre Tochter, gerade zu sitzen, und fügte hinzu, sie hätte nicht vor, ihre Gewohnheiten aufzugeben. Werner käme zum Abendessen, um alles ins Lot zu bringen. Entenconfit, sagte Carola und stieß die Schiebetür auf, die das Wohnzimmer vom Essbereich trennte.
Luise roch den feinen Dunst garen Fleisches, sah noch wie die Haushälterin das Besteck zurechtrückte und davonhuschte. Sie setzten sich an den Tisch, das Eis knisterte in den Wassergläsern. Ihre Mutter, die Ballerina. Luise, das ungelenke Kind. Sie beäugten sich, zwei Rivalinnen, durch ein unsichtbares Gitter voneinander getrennt. Ein Knall ließ ihre Mutter zusammenschrecken, die Haustür wurde zugeschlagen, dann hörten sie die eifrigen kleinen Schritte der Haushälterin im Flur, und kurz darauf betrat Werner den Raum, groß und bedeutsam.
Wisst ihr was, sagte er und schlug die Hände ineinander, ich würde jetzt gern ein paar Tage Urlaub machen.
Carola zog gereizt ihre dünnen Brauen in die Höhe, ihr war nicht nach Scherzen zumute, wenn dies auch wohl kein Scherz, sondern einfach nur die Wahrheit war. Aber die Wahrheit war Luises Mutter an diesem Abend möglicherweise ebenfalls zu viel, Ente reichte ihr vollkommen.
Werner rückte geräuschvoll seinen Stuhl zurecht. Was bleibt uns denn anderes übrig, rief er und legte die Stoffserviette auf seinen Schoß, da müssen wir jetzt durch. Wenn ich bei jeder kleinen Krise den Kopf verlieren würde, bräuchte ich mehr Köpfe, als das Jahr Tage hat. Es geht alles den Bach runter, daran können wir nichts ändern. Es kommt nur darauf an, als Letzter unten anzukommen. Er lachte und begutachtete die Schüsseln, die auf dem Tisch dampften.
Das, was Kurt uns liefert, wird eine hübsche Schlammschlacht werden, erklärte Werner.
Gibt es Neuigkeiten von ihm?, fragte Luise.
Nur die Nachricht von Wessner, die heute angekommen ist.
Weiter nichts?
Weiter nichts.
Dann verschone uns mit deinem Orakeln, sagte Carola und verteilte das Fleisch.
Wortlos aßen sie. Luises Mutter erlaubte sich nur wenig Ente, drei Salatblätter waren über ihren Teller drapiert, die sie akribisch klein schnitt. Man musste sich an Gewohnheiten festhalten, wenn alles zusammenbrach, und Luises Mutter, die ihr Leben lang Diät gehalten hatte, würde gerade an diesem Tag nicht davon abweichen.
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