Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
gegeben. Dein Vater wäre gestorben, so oder so. Er hatte genug, das konnte jeder sehen, spätestens seit dem Tag, als sein eigener Sohn ihn vor Gericht gezerrt hat. Und du, warf sie ihrem Mann vor, suchst nur eine Erklärung für den Tod deines Vaters. Es sei letzten Endes die gleiche Angst, die auch seinen Vater ergriffen hätte, die Angst der Tietjens, denselben Regeln zu unterliegen wie andere Menschen auch.
Wie andere Menschen, dachte Kurt nun, Jahre später, am Rand von Brooklyn, wo er den Möwen zusah. Hoch über ihm taumelten sie durch einen schwülen Nachmittag. Das New York der Achtziger war eine Weltreise von hier entfernt und Essen war es ebenfalls. Die richtige Entscheidung, dachte Kurt, gab es die überhaupt? Es hatte sich anders ergeben, als Carola es vorgesehen hatte. Es hatte sich bereits damals anders ergeben. In New York hatte ihr Weltreich zu bröckeln begonnen, oder vielmehr waren die Risse eines längst bröckelnden Reiches sichtbar geworden. Etwas hatte seit Jahren an den Rändern der Tietjen’schen Macht geknabbert, und es fraß sich weiter voran, dachte Kurt am Ufer des East River. Er blickte auf die Brachfläche vor sich, Kinder spielten zwischen Treibholz und zerschmetterten Metallzäunen, auf der anderen Uferseite reckten sich kalt und klar die Hochhäuser Manhattans, ein von zu vielen Zähnen überwucherter Kiefer. Weiterfressen, dachte Kurt. Fressen, bis sein Vater endgültig, auch in seiner Erinnerung, tot war und vom Unternehmen nicht mehr blieb als jenes räudige Geröll am Rand von New York.
VIII
Nie war es Luise Tietjen möglich zu zögern, frei über ihre Zeit oder auch nur ihre Gedanken zu verfügen, natürlich war ihr dergleichen nicht erlaubt, sie wuchs mit einer Disziplin auf, so scharf, dass andere sich daran geschnitten hätten, und sie erwartete nicht das Unmögliche, sie erwartete nur, dass sie verwundert sein durfte, als ihr Vater in New York verschwand – aber auch das durfte sie nicht. Menschen wie sie taten gut daran, ihren Vater genauso schnell zu vergessen wie einen Geschäftstermin.
Sie hatte es von Werner und wenig später auch von Krays gehört: Ihr Vater würde nicht nur in New York bleiben, er hatte ihnen zudem über seinen Anwalt Wessner mit einer Unterlassungsklage gedroht, sollte Werner irgendetwas unternehmen, ohne mit ihm Rücksprache zu halten. Einen Hinweis, wie man Kurt erreichen konnte, hatten sie von Wessner jedoch nicht erhalten.
Luise, dein Vater ist übergeschnappt, hatte ihr Krays in einer Textnachricht geschrieben, und auch ihre Mutter war am Ende ihres Glaubens angelangt, falls es überhaupt jemals Glauben und nicht vielmehr Fatalismus gewesen war, der sie an Kurt Tietjen band.
Dein Vater hat den Verstand verloren, sagte Carola, als Luise am Abend das Haus betrat. Die Wohnzimmertür stand offen, Carola saß auf der Couch und trug diese Feststellung mit solcher Grazie vor, als sei ihre Familiengeschichte ein Zeremoniell. Carola hatte die perfekte Haltung einer Ballerina, und ihr Blick war stechend scharf.
Kurt Tietjen denke nicht daran, den ihm unterbreiteten Vorschlägen zuzustimmen, so Theo Wessner von der Anwaltskanzlei Wessner und Willberg in einem förmlichen Brief. Sein Klient stimme weder dem Stellenabbau in Essen zu noch der Verlagerung der restlichen Produktion von China nach Bangladesch. Wessner verwies zudem auf das Vetorecht, von dem Kurt Tietjen jederzeit Gebrauch machen könne.
Es war absurd, dass jener Mann, der einfach so untergetaucht war, jetzt auf seine Rechte als Geschäftsführer beharrte. Es war absurd, dass er ausgerechnet Wessner auf sie hetzte, einen früheren Freund der Familie.
Dein Vater will uns an den Hals, erklärte Carola trocken.
Luise sah ihre Mutter an, suchte nach Spuren von Ironie in ihrem Gesicht. Carola aber war kein Mensch, der sich auf Ironie verstand. Wessner ist nicht dumm, sagte Carola. Er hat Kurt in den Achtzigern vertreten, er hat nicht vergessen, wie blamabel es war, als Kurt die Klage gegen die Firma zurückgezogen hat. Er weiß, dass er sich mit Kurt wieder auf dünnes Eis begibt, und er wird nicht noch einmal verlieren wollen. Dünnes Eis, was sage ich, rief sie. Wasser ist es, nichts als Wasser.
Die Gardinen im Wohnzimmer waren zugezogen, niemand sollte Einblick in ihre Misere bekommen. In der Firma war längst durchgesickert, dass man auch in der Chefetage nicht wusste, was von Kurt Tietjen noch zu erwarten war, und seit Tagen hielt sich niemand mehr an die Arbeitspläne. Jeder
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