Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
Studium bleiben dir noch sechs Wochen, das muss reichen, Leben hin oder her, und so einen Abschluss bekommt heutzutage jeder Dummkopf hin.
Aber ich kann keine Entscheidungen für eine ganze Firma treffen.
Natürlich kannst du Entscheidungen treffen, du hast nur Angst davor. Du willst dir nicht die Hände schmutzig machen. Genau wie dein Vater. Ich sage dir eins, du machst dir die Hände gerade dann schmutzig, wenn du keine Entscheidungen triffst. Wenn du zusiehst, wie alle Entscheidungen von anderen getroffen werden. Du wirst dir diese Haltung nicht ewig erlauben können. Du weißt, wer du bist, wenn du erst einmal geerbt hast.
Luise nickte. Die Möglichkeit war ihr bewusst, aber Möglichkeiten spielten in einer anderen Liga als Gegebenheiten. Mit Möglichkeiten kam sie zurecht, wirkungslos, wie sie waren.
Du weißt doch, wer du bist?, fragte Werner erneut, und natürlich war die Frage falsch gestellt, wer wusste schon, wer er war, man wusste nur, und das meist zu genau, wer man zu sein hatte, und genau das hatte Werner gemeint.
Ich erwarte von dir nicht, im Voraus die richtige Entscheidung zu treffen, sagte er und lehnte sich im Sitz zurück. Darum geht es nicht, es geht darum, eine schnelle Entscheidung zu treffen. Niemand kann vorher wissen, welche Entscheidung am Ende die richtige ist. Ein Firmenchef ist ja kein Wahrsager, kein Hexenmeister, und der liebe Gott ist er ebenso wenig. Er wird auch nicht als lieber Gott bezahlt. Er griff über den Mittelsitz hinüber, drückte Luises Hand, sie spürte die schwere Wärme seines Ballens auf ihren Fingern, sie wollte ihre Hand zurückziehen, aber er ließ sie nicht los. Du wirst es schon besser machen als dein Vater. Du stehst ja nicht alleine da, du hast mich an deiner Seite.
Und Krays, dachte Luise. Sie war müde, ihr war kalt, sie wollte nicht mehr ihren Onkel sehen, dessen Mondgesicht bleich in der Dunkelheit leuchtete. Natürlich war es nutzlos, sich gegen etwas zu wehren, das längst feststand, schließlich war sie nicht in ein freies Leben hineingeboren worden, sondern in einen lebenslangen Arbeitsvertrag.
Wenn man in diesem Haus geboren wird, hatte eine ihrer Tagesmütter gesagt, kann man nur noch absteigen, ich kann wenigstens noch aufsteigen, sagte sie spöttisch, nachdem Luise sie wochenlang mit Juckpulver, Gummipfeilen, einer Wasserpistole durchs Haus gejagt hatte. Wie oft war der weiche Körper der Tagesmutter zusammengezuckt, wie oft waren ihre Gesichtszüge entglitten, während Luise lachend vor ihr auf und ab getanzt war. Als Luise ihrer schließlich überdrüssig geworden war, überließ sie es ihrem Vater, der Tagesmutter zu kündigen. Luise konnte herrschen, damals, als sie noch nicht wusste, was es bedeutete. Warum wollte sie es jetzt nicht mehr, wo hatte sie die Ignoranz gelassen, die es brauchte, um sich über die anderen zu stellen, um selbstverständlich über fremde Leben zu verfügen?
Vor ihnen das Firmengebäude. Werner reichte einen Schein nach vorne, ließ sich das Rückgeld geben, wie immer geizig beim Trinkgeld. Der Fahrer hielt Luise die Wagentür auf, zögernd stieg sie aus, das Firmengebäude sah in dieser Nacht größer aus als gewöhnlich. Sie ging hinter Werner auf den Eingang zu.
Wenn dein Vater nicht bald zurückkommt, müssen wir uns verhalten, als sei er nicht verschwunden, sondern tot. Das ist unsere einzige Chance. Ich möchte dich bitten, Luise, dass du dich in den nächsten Wochen darauf einstellst, den zweiten Platz in der Geschäftsführung zu übernehmen. Werner hatte schon die Hand gegen die Tür gestützt, bereit, sie aufzustoßen, sobald Luise ihr Ja gab.
Kurt wird es nicht zu weit treiben, sagte sie. Er kann es gar nicht.
Werners Antwort war keine Feststellung, sondern eine Frage: Wollen wir es hoffen?
Eine verlorene Gestalt wischte durch den unteren Flur des Tietjen’schen Firmengebäudes, schrak zusammen, als Werner und Luise ihr entgegentraten. Ihren blauen Kittel mit dem Namensschild zurechtrückend, antwortete sie: Nein, Herrn Tietjen habe sie nicht gesehen, das könne sie sicher sagen, denn sie habe überhaupt niemanden gesehen außer ihrer Kollegin Frau Potschinski, die aber sei vor einer drei viertel Stunde gegangen, und sie selbst sei nur so lange hier, weil sie die Etage von Frau Klein übernommen habe, die heute krank sei, erklärte die Putzfrau, und es klang entschuldigend, als habe sie etwas an sich genommen, das ihr nicht zustand.
Schämen Sie sich doch nicht! Solchen Einsatz weiß ich zu
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