Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
verstehen: Ich bin den ganzen Weg von Deutschland nach New York geflogen, um an einem so kümmerlichen Ort empfangen zu werden? Hätte es nicht einen anderen Rahmen für unseren Geschäftsabschluss geben können?
Gut, dass Sie darauf zu sprechen kommen. Unser Geschäft ist nämlich ein wenig zu viel gesagt.
Zu viel? In welchem Sinn?
Wir haben uns vorgestern noch einmal zusammengesetzt und über die geplante Kooperation beraten. Wir sind, nun, wie soll ich mich ausdrücken – Koch brach ab und fuhr sich mit einem Taschentuch über den feuchten Nacken. Sie müssen verstehen, es liegen uns zahlreiche andere Angebote vor, bessere, um genau zu sein. Wir wollten es Ihnen noch vor Ihrer Reise mitteilen, versicherte er seinen Gästen. Aber wir haben Sie nicht mehr erreicht. Sie sind schon ein paar Tage in der Stadt?
Ein Tietjen wird nicht übergangen, sagte der Senior stur.
Es gibt Leute, die das anders sehen. Herr Tietjen, es tut mir sehr leid, aber –
So etwas passiert mir nicht.
Irgendwem passiert es immer.
Wir sind aber nicht irgendwer, entgegnete der Senior. Wir verlieren nicht. Wir verlieren nicht ohne unser Wissen.
In New York werden Geschäfte schnell gemacht, erklärte Koch und schnalzte mit der Zunge. Und schnell wieder fallengelassen. Für die Zukunft rate ich Ihnen, sich auf die Geschäftspraktiken vor Ort einzustellen.
New York!, rief der alte Tietjen, das ist doch nichts als ein verkommener Moloch, regiert von einer korrupten Beamtenbande. New York existiert für uns nicht mehr.
Kochs speckiges Gesicht glänzte in der Sonne, die kurz und kräftig durchs Fenster schien und dann hinter Wolken verschwand. Die muffige Atmosphäre des Büros schlug über ihnen zusammen. Kurt blickte seinen Vater von der Seite an, betrachtete das faltige Profil, in dem zwar noch Strenge, vor allem aber tiefe Müdigkeit lag. Sie sollten sich lieber zurückziehen, flüsterte er dem Senior zu. Hier sei nichts mehr zu holen, sie verlören nur ihre Zeit. Sein Vater nickte stumm. Beim Hinausgehen blieb der Senior noch einmal stehen. Er blickte sich suchend in dem Großraumbüro um, doch seine weltmännische Statur, das marineblaue Jackett, die Goldmanschetten kamen nicht an gegen das Getöse, das aus den zahlreichen Kabinen aufstieg.
Die Tietjens müssen immer die Nummer eins sein, verkündete der Senior wenige Tage vor seinem Tod, er sagte es sehr laut am Abendbrottisch zu seinem Sohn und zu seinem Schwiegersohn Werner Kettler, der in den vergangenen Monaten immer häufiger ins Haus gekommen war. Er verkündete es über das an den Rand des Porzellans gedrängte Gold, über das Entenconfit, das ihm zu fettig war, über den Kopf seiner Tochter und seiner Schwiegertochter hinweg.
Um ganz oben zu stehen, darf man nicht ständig Kompromisse eingehen, erklärte der Senior. Deshalb können Frauen ja niemals einen Konzern führen. Sie wollen es allen recht machen. Sieh dir doch an, wie lange sie brauchen, bis sie sich für eine Abendgarderobe entschieden haben. Und dann hadern sie den ganzen Abend, weil sie befürchten, das falsche Kleid gewählt zu haben. Sie trauen sich nichts. Es ist Unfug, rief er und stach mit der Gabel in das Entenfleisch, zerteilte es mit skeptischer Miene. Unfug, murmelte er und schob sich ein Stück Fleisch in den Mund.
Die beiden Frauen tauschten Blicke aus, und die Schwiegertochter triumphierte leise über das blasse Geschöpf ihr gegenüber. Fiona Tietjen hatte abgedankt, noch ehe sie für die Firma relevant geworden war. Carola hingegen hatte die richtige Entscheidung getroffen, sie war nicht über die Geburt, sondern über die Heirat an das Vermögen gekommen.
Kurt meinte später, sie hätten seinen Vater nicht nach New York mitnehmen dürfen, sie hätten ihn auf jener Reise um das gebracht, was ihn noch bei Verstand und also am Leben gehalten hatte, um den Glauben, dass es zwar jeden, nicht aber die Tietjens treffen konnte, dass diese Familie vom Lauf der Welt ausgenommen war. Carola jedoch widersprach ihm. Es sei offensichtlich gewesen, dass sein Vater bereits vor der Reise angeschlagen gewesen war. Sie denke nicht, dass er ohne New York auch nur einen Tag länger gelebt hätte, nein, vielmehr sei sie sich sicher, dass er bereits Monate vorher im Stillen abgedankt und nur so lange durchgehalten habe, bis sein Sohn mit der Firma zurechtkam. Dass der Senior auch noch hatte erkennen müssen, dass er selbst schon lange nicht mehr mit der Firma zurechtgekommen war, habe ihm höchstens noch den Rest
Weitere Kostenlose Bücher