Gesetz der Lust
Lippen auf ihrer Haut zu fühlen. Sie liebte es, wenn er mit ihrem Haar spielte, sie liebte es, wie seine Augen aufleuchteten, wenn er sie berührte.
Sie liebte ihn. Und genau das war das Problem.
Marc Savin war gefährlich für sie.
“Wann können wir hier weg?”, fragte Tory so leise, dass man es beim Geräusch des noch immer laufenden Wassers nicht hörte.
Marc rieb sich mit einem Handtuch das Haar trocken. “Ich muss erst Lynx rausholen und ihn zum Hubschrauber bringen.” Er zog seine Hose an und hob das Hemd vom Boden auf. “Du weißt doch, du hast ihm gesagt, dass ich in zwei Stunden komme.”
Er nahm die Uhr aus seiner Tasche und zog sie an. “Das lässt mir noch genau vierzig Minuten, um mich mit dir zu beschäftigen.”
“Was soll ich tun?” Tory hatte sich auf die Badewanne gesetzt.
Marc blickte auf sie hinunter. “Ich muss dich hierlassen, bis Lynx in Sicherheit ist.”
“Nein!” Tory sprang auf und klammerte sich an seinen Arm. “Nein, Marc, du kannst mich nicht hierlassen. Ich komme mit dir. Ich werde dir mit Alex helfen …”
“Tory …” Seine Stimme klang ganz sanft. “Du hast mir selbst gesagt, dass er schwer verletzt ist. Ich kann nicht auf euch beide aufpassen, wir werden am Ende alle daran glauben müssen. Ich komme dich holen, das verspreche ich dir.” Er rieb sich das Kinn. “Wenn es einen anderen Weg gäbe, ich würde ihn gehen. Mit diesen Tieren möchte ich dich nicht einmal fünf Minuten allein lassen, aber es gibt leider keine andere Möglichkeit.”
Sie musste sich damit zufriedengeben, das wusste Tory. Aber sie fürchtete sich davor, hier mit den beiden Männern allein zu bleiben.
Sie wartete, bis Marc ihr mit der Stimme von Sir Ian für den wunderschönen Abend dankte. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, warf sie sich auf das Bett und weinte. Und es war ihr ganz gleich, wer ihr dabei zuhörte.
Tory wachte auf, als das Sonnenlicht durch das Fenster fiel. Das nasse Handtuch lag neben ihr, ihr Haar war noch immer feucht.
Ihr ganzer Körper schmerzte. Wie eine alte Frau stand sie vom Bett auf und ging ins Bad. Das warme Wasser tat gut, es belebte sie. Und sie fühlte, dass Alex nicht mehr da war.
Sie zog die Sachen an, die sie gestern Abend ausgesucht hatte, dann trocknete sie ihr Haar und band es mit einem Seidentuch, das sie in einer Schublade gefunden hatte, zu einem Pferdeschwanz zusammen. Die schwarze Leinenhose war ihr ein wenig zu weit, und sie suchte nach einem Gürtel. Tränen brannten in ihren Augen, doch sie biss die Zähne zusammen.
Marc war weg. Aber er würde zurückkommen, und deshalb musste sie sich zusammenreißen. Sie zuckte zusammen, als die Tür sich plötzlich öffnete. Mario kam ins Zimmer, er trug ein Tablett.
“Frühstück? Ich bin völlig ausgehungert.” Dabei ließ ihr allein der Gedanke an Essen übel werden. Doch sie wusste, sie musste sich so normal benehmen, wie es unter diesen Umständen möglich war. Erst, als sie noch einmal aufblickte, sah sie, wer hinter Mario stand.
Ragno trat einen Schritt zur Seite und ließ Samuel Hoag vor ihm in das Zimmer treten. Er nickte Mario zu, dieser stellte das Tablett auf den Tisch und verschwand dann. “Sie waren ein böses Mädchen, Miss Jones.” Ragnos eisige Stimme würde sie nie wieder vergessen. Die Haare auf ihren Armen richteten sich auf, als er näher kam. Sein süßlich riechendes Aftershave nahm ihr den Atem.
Tory legte den Kopf ein wenig schief. “Wieso?” Ganz ruhig, sagte sie sich. Bleib ruhig, Marc wird kommen …
“Ich habe Ihr kleines Stelldichein gestern Abend meinem anderen Gast erzählt, er war gar nicht begeistert davon.”
Tory zog die Augenbrauen hoch. “Ach, wirklich?”
“Nein.” Ragnos dicke Finger schlossen sich fester um den silbernen Knauf des Stockes, den er in seiner rechten Hand hielt. Er ging durch das Zimmer, roch an einem Parfümzerstäuber und stellte ihn dann wieder an seinen Platz zurück.
Tory wich bis zum Bett vor ihm zurück und blickte dann zu Hoag, der noch immer an der Tür stand.
“Wo ist er, Miss Jones?” Ragno kam näher und strich mit dem Knauf des Stockes über ihre Wange.
“Wo ist wer?”
Der silberne Knauf presste sich gegen ihren Wangenknochen. “Ihr früherer Liebhaber.”
“Ich habe absolut keine Ahnung. Wahrscheinlich hat ihm Ihre Gastfreundschaft genauso wenig gefallen wie mir.” Im Augenblick, als sie diese Worte aussprach, wusste Tory, dass sie einen schlimmen Fehler gemacht hatte.
Christoph Ragno
Weitere Kostenlose Bücher