Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
Brauen hoch, als er Chase erkannte, war aber klug genug, schnell wieder eine gleichmütige Miene aufzusetzen. Als er scheinbar gelassen auf uns zukam, huschte mein Blick auf der Suche nach einem Hinterhalt auf diesen letzten sechs Metern, die uns von der Freiheit trennten, von einer Seite zur anderen.
Vor der Tür stellte sich ein Flaschenhalseffekt ein. Es wurde immer enger. Als Tucker nah genug war, musste ich das Bedürfnis unterdrücken, ihm ins Gesicht zu schlagen. Er war derjenige, der mir gesagt hatte, dass Rebecca hier war. Er hatte gewusst, dass sie hergebracht worden war, also musste er auch den Grund dafür gekannt haben, aber er hatte ihre Verletzung mit keinem Wort erwähnt.
Andererseits hatte er uns reingebracht.
»Hast du Sean gesehen?«, fragte ich ihn.
»Ich habe gesehen, wie er sie rausgetragen hat«, antwortete er. »Kann sie nicht laufen?«
»Tu bloß nicht, als hättest du das nicht gewusst«, fauchte ich, leise genug, dass in all dem Chaos niemand außer ihm es hören konnte. Der Ausdruck seiner Augen veränderte sich in diesem Moment. Die hochmütige, gehässige Schärfe wich etwas anderem. Etwas, das ich bisher noch nie gesehen hatte.
»Hätte es was geändert, hätte ich es gewusst?«
Das war ehrlich, vielleicht war es sogar die erste ehrliche Aussage, die ich von ihm zu hören bekam. Und wenn ich auch ehrlich zu mir war, dann musste ich zugeben, dass ich darauf nur mit Nein hätte antworten können. Es hätte nichts geändert. Ich wäre trotzdem hergekommen.
Jeder schlurfende Schritt beschwor neue verrückte Gedanken in meinem Kopf herauf: Harper war nicht tot; er verfolgte uns, und aus einem windröschenförmigen Loch in seiner Brust sickerte Blut heraus. Andere waren auch hinter uns her. Vielleicht hatte die Sirene genug Interferenzen ausgelöst, den Funkverkehr zu stören, aber er konnte uns schon vorher gemeldet haben.
Wir mussten hier raus. Am liebsten hätte ich all die Leute einfach aus dem Weg geschubst, aber das konnte ich nicht tun. Wir waren zusammengepfercht wie Sardinen in der Dose; ich konnte die Arme nicht heben, umso weniger jemanden wegstoßen.
Endlich stolperten wir hinaus auf den Gehweg. Der Van war immer noch da und wartete auf uns, doch in meiner Brust breitete sich ein Gefühl der Enge aus, als ich sah, wie Sean sich bemühte, Rebecca auf den Rücksitz zu setzen.
Chase und ich gingen so ruhig wir konnten um die Motorhaube herum, aber kaum saß ich in der mittleren Sitzreihe, da rammte er die Tür hinter mir ins Schloss. Tucker saß bereits auf dem Beifahrersitz. Schwestern und Patienten liefen hinaus auf den Reformation Parkway und versperrten uns den Weg.
Meine Finger trommelten auf meinen Oberschenkeln, als Chase den Wagen auf die Fahrbahn steuerte.
»Aus dem Weg«, blaffte Tucker die Menge an. Seine Stimme machte mich wütend. Warum hatte er uns nicht geholfen? Gute Taten konnten böse nicht ungeschehen machen, auch wenn sie die Dinge vielleicht ein bisschen ausbügeln mochten. Glaubte er, er könnte so wiedergutmachen, was er getan hatte?
Glaubte ich, ich konnte wiedergutmachen, was ich getan hatte? Meine Freundin konnte vielleicht nie wieder laufen. Und Harper konnte es ganz bestimmt nicht.
Ich schaute mich zur Rückbank um. Rebecca kauerte auf der einen Seite, den Oberkörper über die Knie gebeugt. Sean saß mit bleichem Gesicht auf der anderen. Keiner berührte den anderen.
»Sean«, sprach ich ihn mit klappernden Zähnen an. Langsam blickte er zu mir herüber, als gäbe es in seiner akustischen Wahrnehmung eine Verzögerung. Was tat er bloß? Sie war gebrochen und verängstigt, und seine Distanziertheit betonte nur noch mehr, welchen Schaden sie erlitten hatte.
»Ich wusste nicht, dass du nicht gehen kannst«, sagte er, und sein Blick kehrte zurück zum Fenster.
»Sean!«, blaffte ich nun. Rebecca schluchzte vernehmlich.
Tucker lehnte sich auf seinem Sitz zurück und brüllte vor Aufregung. Der Weg war endlich frei, und bald jagte Chase den Reformation Parkway hinunter, weg von dem Krankenhaus.
»Was war mit Sprewell los?«, verlangte ich zu erfahren.
»Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit über meinen militärischen Status«, entgegnete Tucker, unverkennbar adrenalingeladen. »Er schläft im Fahrstuhl darüber, während das Gebäude geräumt wird. Gut für ihn, dass es nicht wirklich in Flammen steht, nicht wahr?«
» Du hast den Feueralarm ausgelöst?«, hakte ich verblüfft nach. Ich dachte, Chase wäre dafür verantwortlich gewesen,
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