Gesetze der Lust
sie wollte es auch gar nicht wissen.
„Ja, Father“, war alles, was sie sagen konnte.
Sie neigte den Kopf.
„Gott möge dir Vergebung und Frieden schenken, und ich spreche dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes von deinen Sünden frei.“
Nora bekreuzigte sich.
„Amen.“
Mit schwerem Herzen stand Nora auf. Sie hasste es, dass sie an ihrem letzten gemeinsamen Abend vor ihrer Abreise etwas so Schmerzvolles hatte beichten müssen. Doch plötzlich verlor sie den Boden unter den Füßen und fand sich in Sørens Armen wieder. Ohne ein Wort trug er sie hinauf in sein Schlafzimmer.
„Du bist nicht böse?“, fragte sie, als er ihr das Hemd auszog und sie aufs Bett legte. Er schlüpfte aus seiner Hose und drückte seinen nackten Körper gegen ihren.
„Eleanor, wirst du jemals lernen, dass ich es ernst meine, wenn ich sage, dass ich dich liebe?“
„Vielleicht irgendwann“, sagte sie und lächelte ihn im Halbdunkelan. „Ich werde dich diesen Sommer über so sehr vermissen. Bist du sicher, dass ich gehen muss? Wegzulaufen ist eigentlich nicht so mein Ding. Zumindest nicht mehr.“
„Ich fürchte, in der momentanen Situation ist Vorsicht besser als Nachsicht. Es geht hier nicht nur um die Kirche oder darum, dass die Öffentlichkeit von uns erfahren könnte, Eleanor. Wir haben mehr zu fürchten, als dass jemand herausfindet, dass wir beide zusammen sind.“
„Du bist nicht mit Kingsley einer Meinung, oder? Du glaubst nicht, dass es einfach nur einer meiner früheren Klienten war, der meine Akte gestohlen hat, richtig?“
„Was das angeht, tappe ich wirklich noch im Dunkeln.“ Søren blickte in die Schatten, die außerhalb des Nachttischlichts lauerten. „Wer immer es war und aus welchem Grund er es getan hat … ich werde nicht zulassen, dass man dir wehtut. Eher lasse ich mir mein Herz herausschneiden.“
Nora streckte die Hand aus und berührte die Wunde über Sørens Herz. Es war ein oberflächlicher Schnitt, der in wenigen Tagen verheilen würde. Die Wunden darunter jedoch waren alt und vernarbt und würden vermutlich niemals mehr ganz heilen. Sie hatte mal gelesen, dass Narbengewebe das stärkste aller Gewebe war. Vielleicht war Sørens Herz so stark, weil es so vernarbt war.
„Eleanor? Erinnerst du dich an die Beerdigung meines Vaters?“
Nora schloss die Augen und war mit einem Mal wieder siebzehn. Sie hatte sich für ihre Mutter eine gute Entschuldigung ausgedacht und Søren zum Begräbnis seines Vaters begleitet. Sie war für Claire da, seine sechzehnjährige Schwester. Zumindest war das die Geschichte, die sie erzählte, wenn jemand fragte.
Am Abend nach der Totenwache saß Søren in dem großen Ohrensessel in seinem Kinderzimmer – ein Zimmer, das nur die Erinnerungen an Albträume für ihn bereithielt. Sie erinnerte sich, wie sie das Zimmer betreten und ihn dort sitzen sehen hatte: in kaltes Mondlicht gehüllt, schweigend, betend. Das weiße Licht hatte sein Gesicht erhellt, seine blonden Haare.Auf leisen Sohlen war sie zu ihm gegangen, und er hatte sie in seine Arme genommen und festgehalten. Es war das erste Mal, dass er zugegeben hatte, dass er sie liebte … dass er sie seit dem ersten Augenblick liebte, in dem er sie als Fünfzehnjährige gesehen hatte. Seine Trauer und sein Kummer über den Vater, der versucht hatte, ihn zu zerstören, brachen an diesem Abend aus ihm hervor, als er ihr die Horrorgeschichten aus seiner Kindheit erzählte. Sie hatte ihn nur trösten wollen. Beinahe hätte er ihr schon in dieser Nacht ihre Jungfräulichkeit geraubt …
Nora kicherte. „Oh nein. Solange ich lebe, werde ich diese Nacht nicht vergessen.“
Søren berührte ihre Lippen mit seinen Fingerspitzen. „Ich weiß, was du damals gehört hast, meine Kleine.“
Eine weitere Erinnerung stieg in ihr auf. Diese war jedoch bei Weitem nicht so angenehm. Nachdem sie Søren in dieser Nacht verlassen hatte, war sie zu dem Zimmer gegangen, das sie sich mit Claire teilte. Das Haus hatte über ein Dutzend Schlafzimmer, aber Søren hatte darauf bestanden, dass weder sie noch Claire alleine schliefen. In der Minute, in der sie am Haus angekommen waren, hatte er sich verändert. Er war ihr gegenüber schon immer besonders aufmerksam gewesen, aber plötzlich wurde er, was sie und Claire anging, beinahe paranoid. Er benahm sich, als würde das Haus seiner Kindheit von einem gefährlichen Geist heimgesucht. Und in dieser Nacht lernte sie, dass das nicht weit von der Wahrheit entfernt
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