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Gesetze der Lust

Gesetze der Lust

Titel: Gesetze der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiffany Reisz
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war. Auf dem Weg zu ihrem Gästezimmer sah sie den Umriss einer Frau, die am offenen Fenster stand. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und den Kopf geneigt. Neben ihr stand Søren, und sie flüsterten miteinander. Nora hatte sich in die Schatten zurückgezogen und dort versteckt. Langsam schlich sie sich näher heran und hörte die Frau fünf Worte zu Søren sagen: Es tut mir nicht leid . Und sie hörte Sørens Antwort: Mir auch nicht .
    In diesem Augenblick wusste Nora, dass sie etwas gehört hatte, was sie nicht hatte hören sollen. Sie verschwand in dem Zimmer, das sie sich mit Claire teilte, und starrte bis zum Einbruchder Morgendämmerung an die Decke – ihr Körper brannte an den Stellen, die Søren berührt hatte, in ihrem Kopf drehten sich die Gedanken um das, was sie erlebt hatte.
    Auf der Beerdigung am nächsten Tag war sie der Frau begegnet, mit der Søren in der Nacht zuvor gesprochen hatte. Groß und elegant, mit kastanienfarbenem Haar und violetten Augen, hatte die Frau sie mit ihrer Schönheit und der Verzweiflung, die sie wie ein dunkler Heiligenschein zu umgeben schien, eingeschüchtert. Søren hatte sie als Elizabeth vorgestellt, seine ältere Schwester, und Nora als Freundin von Claire bezeichnet. Nora erinnerte sich daran, dass sie Elizabeth nie als Menschen gesehen hatte, sondern nur als lebenden, atmenden Geist. Selbst im Dunkeln sah Nora diesen Geist in Sørens grauen Augen aufblitzen.
    „Ich habe versprochen, dich zu beschützen, meine Kleine. Das ist der einzige Grund, weshalb ich dich fortschicke“, sagte er und zog Nora in seine Arme.
    „Deine Schwester … Du hast Angst, dass sie herausfinden, was Elizabeth getan hat, oder?“
    Søren schob ihr eine Haarsträhne hinter das Ohr.
    „Nein. Ich habe Angst, dass sie das mit dir und mir herausfindet.“

5. KAPITEL
    Am Montagmorgen wachte Suzanne im Morgengrauen auf und machte sich nicht einmal die Mühe, ihren Computer hochzufahren. Sie hatte sich noch nie so hilflos gefühlt. Es war, als würde irgendjemand oder irgendetwas am anderen Ende des Internets sitzen und jeden ihrer Versuche, etwas Substanzielles über Father Stearns herauszufinden, boykottieren. Aber heute würde sie alle Register ziehen. Außergewöhnliche Umstände fordern außergewöhnliche Maßnahmen.
    Sie würde heute offline arbeiten.
    Die Bücherei öffnete früh, aber sie war noch früher da. Sobald man sie einließ, eilte Suzanne zu einem Recherchetisch. Sie hatte seit Jahren nicht mehr ohne Computer recherchiert. Vermutlich nicht mehr seit der Mittelstufe, als ihre gesamte Klasse einen Ausflug zur Bücherei gemacht und gelernt hatte, wie man sich durch die dicken grünen Folianten blätterte und die Namen, Daten und Themen der Fachzeitschriften aufschrieb, nach denen man suchte.
    Suzanne hatte nicht viele Anhaltspunkte. Aus ihrer Internetrecherche hatte sie nur gelernt, dass Father Marcus Stearns seit beinahe zwanzig Jahren an der Sacred Heart war und niemals einer anderen Gemeinde vorgestanden hatte. Offensichtlich diente er auch als Beichtvater für den nahegelegenen Orden der Benediktinerinnen. Eine von ihnen hatte einen Blog und schrieb, dass Father Stearns, genau wie sie, in New Hampshire geboren worden war. Wenn man davon ausging, dass er das Priesterseminar mit achtundzwanzig abgeschlossen hatte, musste er heute siebenundvierzig oder achtundvierzig Jahre alt sein. Sie kannte nun also seinen Namen, sein ungefähres Alter und den Staat, in dem er geboren worden war. Das war zumindest ein Anfang.
    Gegen Mittag war sie erneut kurz davor aufzugeben. Es gab einfach nichts über Marcus Stearns. Ein letztes Mal stürzte sie sich noch auf die Bücher und stieß auf einen Marcus Stearns, der 1963 Anfang vierzig gewesen war und in New Hampshiregelebt hatte. Wenigstens hatte er den gleichen Namen, wenn auch nicht das richtige Alter. Vielleicht ein Verwandter, dachte sie und suchte weiter.
    Wenig später wusste Suzanne, dass sie auf etwas gestoßen war.
    Marcus Augustus Stearns, geboren 1920 in England, war durch eine Erbschaft zum Baron geworden. Mit Ende dreißig war er nach New England gekommen und hatte seinen Titel benutzt, um in eine unglaublich reiche Familie einzuheiraten. Nach nur einem Jahr hatte seine Frau Daisy eine Tochter zur Welt gebracht: Elizabeth Bennett Stearns. Elizabeth Bennett… Wie die Heldin in „Stolz und Vorurteil“. Sie war also ein Jane-Austen-Fan, dachte Suzanne. Aufgeregt stellte sie fest, dass ein knappes Jahr später ein Sohn

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