Gesetze der Lust
Ellie verbracht. Sie knurrt mich auch immer an.“
Bei der Erwähnung der geheimnisvollen Miss Ellie fiel Owens Wut wie eine Maske von ihm ab.
„Wann kommt sie zurück?“, fragte Owen. „Ich habe ein neues Bild für sie gemalt.“
„Das weiß ich nicht“, erwiderte Father Stearns und richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf. „Es könnte sein, dass sie eine ganze Weile fortbleibt.“
Owen nickte und starrte auf seine Schuhe.
„Sie fehlt mir“, sagte er und scharrte mit der Spitze seines Schuhs im Gras.
Father Stearns seufzte und tippte dem kleinen Jungen auf den Kopf.
„Mir auch.“
Damit rannte Owen davon, und Suzanne erkannte, dass sich ihr hier jetzt endlich eine Gelegenheit bot. Nervös ging sie auf Father Stearns zu und setzte ihr bestes Wetteransagerinnenlächeln auf.
„Father Marcus Stearns?“
Er drehte sich zu ihr um, der Hauch eines Lächelns umspielte seine Lippen.
„Wie schön, ein neues Gesicht in der Sacred Heart zu sehen. Wie geht es Ihnen, Miss …?“, sagte er und streckte ihr seine Hand hin.
Suzanne erstarrte einen Moment, bevor sie sich erinnerte, dass sie ja undercover war. Sie nahm die dargebotene Hand. Sie war perfekt, wie von einer Statue. Weiche, warme Haut, doch ein starker, fester Griff, obwohl er ihre Finger nur leicht drückte. Er schüttelte ihr die Hand wie ein Mann, der seine eigene Kraft kannte, der wusste, wie man Befehle erteilte und sie auch durchsetzte.
„Kanter“, sagte sie. „Suzanne Kanter. Mir geht es sehr gut, danke“, antwortete sie höflich, bevor sie ihre Hand zurückzog. „Die Messe hat mir gut gefallen.“
„Das freut mich zu hören. Was bringt Sie zur Sacred Heart?“, fragte er neugierig, aber nicht misstrauisch. Suzanne beschloss, ihr Glück ein wenig herauszufordern, um zu sehen, ob sie dem Priester eine Reaktion entlocken könnte.
„Kein besonders frommer Wunsch … Ich habe gehört, dass Nora Sutherlin diese Kirche besucht. Da ich ein großer Fan von ihr bin, habe ich gehofft, ich könnte sie hier treffen. Leider sieht hier niemand wie eine berühmte Schriftstellerin aus.“
„Sie wäre Ihnen sofort aufgefallen“, sagte er, und sein feines Lächeln wurde einen Hauch breiter. „Normalerweise beehrt sie uns mit ihrer Anwesenheit, aber diesen Sommer nimmt sie sich eine Auszeit.“
„Wie schade. Ich muss sagen, es beeindruckt mich, dass Ihre Kirche sie so herzlich aufnimmt. Ich habe einige ihrer Bücher gelesen. Ziemlich sündiges Zeug.“
Suzanne sah etwas in seinen Augen aufblitzen. Überraschung vielleicht? Oder etwa Belustigung?
„Es war Christus’ Art, die Sünder und andere ruchlose Charaktere in seine Gesellschaft und sein Königreich einzuladen. An seinen besonders mitfühlenden und großzügigen Tagen hat er sogar mit Reportern gesprochen.“
Sein Lächeln veränderte sich erneut. Jetzt zierte reine Ironie seine Lippen.
„Wie haben Sie …“, fing sie an, doch sie war zu geschockt, um weitersprechen zu können.
„Sie haben sich während des Gottesdienstes Notizen gemacht. Nur ein Protestant oder ein Reporter würde sich die Mühe machen, während einer Predigt mitzuschreiben – und dann noch bei einer von meinen. Außerdem erkenne ich nach zwanzig Jahren als Priester einen nicht praktizierenden Katholiken auf hundert Meter Entfernung.“
„Ach, wirklich?“
„Sie stehen an den richtigen Stellen auf und setzen sich wieder hin, ohne dass sie sich dabei an den anderen orientieren müssen. Sie nennen mich ganz selbstverständlich Father, nicht Pastor oder Reverend. Und Sie haben einen eindeutig katholischen Ausdruck in den Augen.“
„Was für einen ‚katholischen Ausdruck‘?“
„Schuld.“
Suzanne straffte die Schultern. Auf gar keinen Fall sollte er sehen, wie sehr er sie mit dieser Bemerkung erschüttert hatte. In seinen Augen konnte sie kein Anzeichen von Schuld entdecken.
„Okay, ja. Sie haben mich enttarnt. Ich bin Reporterin und Exkatholikin“, sagte sie und setzte ein noch breiteres falsches Lächeln auf.
„Wir sehen ab und zu ehemalige Katholiken hier, aber nicht viele Reporter“, gab er beiläufig zurück. „Ich versichere Ihnen, in letzter Zeit ist hier nichts Berichtenswertes passiert. Ich habe schon seit Wochen keinen Exorzismus mehr durchgeführt.“
Suzanne schaute ihn einen Moment lang verwirrt an.
„Sie sind nicht das, was ich erwartet habe“, sagte sie und beschloss, mit der Scharade aufzuhören.
„Angesichts dessen, wie der Klerus dieser Tage angesehen wird,
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