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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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hätten Rafi und die anderen über sein verräterisches Tun so viel gewusst, dass es nichts mehr zu sagen gab.
    Wer war »der andere«, jener, der am 28. Mai vor neun Tagen gestorben war und wer war er, »er«, den man in der Sekunde, in der er Opera am 24. Mai verließ – also heute! –, dem irdischen 2. Juni, nicht verhaftete?
    Derselbe, zwei Phantome ein und desselben Wesens, die jeder ihren Platz in einer anderen Zeit hatten …
    Während er in Gedanken seine Verhaftung erneut durchlebte, erinnerte sich Axel an eine schon früher aufgestellte Vermutung, im Grunde die einzig denkbare, die einzige, die erklärte, was ihm hier widerfuhr.
    Nun hatte er Gelegenheit, sie zu überprüfen.
    Er griff nach Axel 2, öffnete ihn und entdeckte auf den ersten Blick eine winzige goldene Kugel, die darin nichts zu suchen hatten. In einem wütenden Impuls warf er den aufgerissenen Axel 2 zu Boden – Axel 2, sein treuer Begleiter auf so vielen Reisen! – und trampelte auf ihm herum, zerstörte ihn, tötete ihn.
    Seine Vermutung war folgende: Am 18. Mai hatte sich Rafi von dem teuflischen Mahul beeinflussen lassen, dessen Nominierung unmittelbar bevorstand. Mahul war bei der Geschichte mit dem intelligenten Planeten, der sich weigerte, Opera weiterfliegen zu lassen, misstrauisch geworden (zu Unrecht: In der Hinsicht hatte Axels Bericht der reinen Wahrheit entsprochen). Rafi konnte sich zwar einen Verrat durch Axel nicht vorstellen, hatte dann aber doch Mahuls Hartnäckigkeit und Durchtriebenheit nachgegeben und beschlossen, bei Axel eine Ohnmacht auszulösen (ein medizinischer Trick, dessen Ausführung man dem hochgeschätzten Luc anvertraut hatte) und während seiner Bewusstlosigkeit einen Spitzel in Axel 2 einzubauen, eben jene goldene Kugel, deren Vorhandensein Axel nun bemerkt hatte.
    Am renatischen 24. Mai hatte Axel 2, sobald die Entfernung zwischen Opera und Renata es ihm ermöglicht hatte, Axel denunziert, den Hochverrat angezeigt, und so war Axel von den Schergen der Geheimpolizei in Empfang genommen worden, kaum dass er den Fuß auf Renata gesetzt hatte – so wie er sich an diesem irdischen 2. Juni gerade erinnerte.
    Während dieser zweigeteilten Zeit, die noch einige Tage (vier) anhalten sollte, war er für seine Todfeinde außer Reichweite, aber er war ihnen bereits in die Hände gefallen! – und er wusste es, er spürte es in jeder Faser seines Wesens: Das Unausweichliche, das bereits eingetreten war, würde eintreten, er war nur noch ein lebender Toter.
    Er kehrte ins Innere von Opera zurück, um sich eine der fünf Not-Telesteuerungen zu schnappen, die die genaue Replik von Axel 2 waren. Während er an die kindliche Clara und ihr Lächeln dachte, gab er ihr den Namen Axel 3. Der erste Dienst, den Axel3 ihm erwies, bestand darin, ihn mit Renata Salomone zu verbinden. Axels Herz war beklommen, als er die helle, junge Frauenstimme seiner lieben Renata hörte (eine Stimme, die dank einer Klangwiedergabetechnik, von der die Erdbewohner nicht einmal träumen konnten, unglaublich präsent und natürlich klang). Er sei ganz in ihrer Nähe, sagte er ihr, nur fünf Minuten von ihr entfernt, und könne ihr gleich einen Besuch abstatten, wenn sie gern wollte – einfach so, er hatte keine Schmerzen, nichts war gebrochen, nicht verstaucht, nichts zerknittert, zerrissen oder überdehnt – sein einziges Leiden war der Tod, dachte er voll Traurigkeit angesichts des Kummers, den er Renata bereiten würde.
    Er schlüpfte in seinen schönen grauen Anzug mit den bläulichen Reflexen, der immer tadellos aussah – war er doch aus einem, wie nun endlich erwähnt werden sollte, schmutzabweisenden und knitterfreien Stoff geschneidert –, und machte sich auf den Weg zu ihr in die Nummer 1945 der trostlosen mittleren Avenue.
    Er betrat das Wohnhaus.
    Zwölfte Etage, Wohnung Nummer 42.
    Er schloss seine zweite Mutter, deren weißes Haar er inzwischen so liebte, als hätte sie es ihr Leben lang weiß getragen, fest in die Arme und flüsterte ihr Zärtlichkeiten ins Ohr.
    Sie gingen ins Wohnzimmer. Auf zwei der vielen Fotos, die ihre Wände schmückten (Renatas Familie, ihr verstorbener Mann, ihre Kinder und Enkelkinder, die ihr so fehlten), auf zwei dieser Fotografien, die sie am selben Tag an die Wand gehängt hatte, war Axel als Baby zu sehen, mit seinem schon damals tiefen Blick und einem Lächeln, das ebenso plump und unansehnlich war wie heute.
    Sie setzten sich auf das Sofa gegenüber der verglasten Front (froh, dass diese einen

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