Gesetzlos - Roman
hinten gekämmtes Haar keinen Deut bewegte, selbst wenn im Sommer die Scheiben heruntergekurbelt waren, oder wie er sich zu mir drehte und einfach nur vor Glück über unser Zusammensein lachte und plötzlich zu singen anfing – ja, Maxime begleitetemich auf dieser letzten Reise! –, und ich raste durch die Stadt, meine Sehnsucht wuchs, Clara und ihr alles überstrahlendes Lächeln, das einem die Schlichtheit des Paradieses offenbarte, wiederzusehen.
Wir gingen kaum aus dem Haus, außer um Einkäufe zu erledigen. Abends sahen wir die Fernsehnachrichten. Clara ruhte sich aus, und ich auch, wir versuchten uns von unseren Ängsten, Trennungen, Schmerzen und der Trauer, die uns belastet hatten, zu erholen.
Sie zeigte mir viele Fotos von ihrer Familie, vom Haus in der Avenue Foch, von der Katze Kolia, von ihrer Mutter, ihren Großeltern, Albin Nomen.
Jeden Nachmittag setzte sie ihren Körper einem Sonnenbad aus, mit geschlossenen Augen oder Partituren lesend.
Am Telefon unterhielt sie sich mit einigen Bekannten, zögerte aber den Moment des Wiedersehens hinaus, sie brauche noch einige Tage Ruhe, sagte sie (sogar zu Mireille).
Ihre Unterhaltungen mit Alma Perez waren lebhafter, lebendiger. Alma war die einzige Person, die sie am liebsten noch in derselben Stunde gesehen hätte. (Und Alma erst!) Aber der Wunsch, an dem Weihnachtstermin für das geplante Wiedersehen festzuhalten, war stärker als jeder andere. Ich war etwas überrascht, und vielleicht war sie es auch. Sie erwähnten den Juli, dann den August, schließlich den 10. September, Claras Geburtstag – aber am Ende beließen sie es bei Weihnachten, ganz ohne Konflikt, in aller Harmonie und ohne dass das zarte Band zwischen den beiden im Geringsten belastet worden wäre. Würde ich sie zur Villa zum blauen Himmel begleiten?, fragte mich Clara am Mittwoch mit so hoffnungsvollem Ausdruck, dass ich zutiefst gerührt war, ja, mein Schatz, sagte ich (aber da nannte ich sie noch nicht »mein Schatz«), ich werde Sie zum blauen Himmel begleiten, ich begleite Sie, wohin Sie wollen! Eines Tages, am Donnerstag, den 5., ging Clara vormittags für etwa dreißig Minuten alleine aus.(War sie zu einem der Antiquare in Saint-Maur gegangen, um mir ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen? Das nahm ich an.)
Sie spielte viel Klavier.
(Hier ein paar Zeilen, die ich während ihrer halbstündigen Abwesenheit am Donnerstag geschrieben habe: »An einem Nachmittag, als ich ihr beim Spielen zuhörte, offenbarte sich mir jener feierliche Gedanke, dass das Leben bloß die Variation eines Themas ist, von dem wir nie mehr als die Variation kennenlernen. Und an einem anderen Nachmittag eine weitere Offenbarung, wieder als ich ihr zuhörte, nämlich dass ich glaubte, dorthin zu gehen, wo ich in Wahrheit herkam: Das erklärte auch den ständigen Eindruck, dass all die folgenlosen Ereignisse doch aufeinander folgten – und dass mich unablässig und bis zum letzten Wort die Frage quälen würde, wie ich in mich eingehen und wieder aus mir hervorkommen sollte.«)
Und im Laufe der gemeinsam verbrachten Stunden erzählten wir uns alles noch einmal, mit so wenigen Auslassungen wie möglich. Durch unsere Geschichte zogen die Namen von Luis Archer, Clara, Marie, Marie aus der Rue des Fleurs, Maxime Voutand-Bersot, der ein Doppelleben führte, Ida Retable, die Gesellschaftsdame von Élise Voutand-Bersot (Maximes Mutter), des Engels Agnès, mit dem Maxime zwei Jahre lang ausgegangen war. Von Magdalena Padilla, meiner Mutter. Von Anabel Trieste, dem verfluchten Mornais und verfluchten Quiret, von Nathalie Mornais (die ich nie wiedersehen sollte), von Cathy, der Märtyrerin, von Hubert Maynial, ihrem behinderten und verrückten Vater, von Joseph, ihrem Großvater, der Mediävist war, von dem unsympathischen und verräterischen Henrik Hansen, dem Fußgänger-Überfahrer, von Raymond Quillain, dem falschen Schuldigen, von Guy Charlier, von Robin-Spartakus, von Anton Koenig, von meinem heiligen Onkel Pepe, von X, dem Profikiller, und dem Kratzer, den sein Schuss auf dem Dach meines schönen Autos hinterließ, von André Bernard, von meinenNachbarn, den diskreten Maliports (denen ich manchmal im
Hollywood
, der amerikanischen Bar in der Rue des Martyrs, an der Ecke zur Rue de la Tour-de-Cordoue begegnet war), von Marc Michel, dem Arrangeur von Variété-Musik, von dem Musikverlag Esmeralda und so auch von dem wunderbaren Alex Luzbourian, Freund der Zebras, und von Luisa Lum, seiner Assistentin und
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