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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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eineBegegnung erforderlich gemacht, und auch der Zufall hatte keine herbeigeführt, er sah sie nie und legte es auch nicht darauf an. Am Ende hatte er sie als Geisternachbarn bezeichnet.
    Aber er hatte die Erinnerung an das lange und prächtige Haar von Clara als Kind bewahrt, die er, einige Jahre nachdem sich die Nomens in Saint-Maur niedergelassen hatten, einmal von hinten gesehen hatte.
    Ich hatte seit jeher die Angewohnheit, das Auto in der menschenleeren Sackgasse, weit vor dem Haupttor, an einem kleinen Gartentor abzustellen, dort den Park zu betreten und die fünfzig Meter bis zu Maximes Haus zu Fuß zu gehen.
    Heute war er mir entgegengekommen und erwartete mich schon auf dem Bürgersteig.
    Er war groß, etwas größer als ich, kräftig, ohne dick oder schwerfällig zu sein. Seine vollen schwarzen Haare waren auf ebenso originelle wie aus der Mode gekommene Weise eng am Kopf liegend zurückgekämmt.
    »Ja, ich weiß, es müsste mal wieder gewaschen werden«, sagte ich, als ich aus dem Auto stieg (als würde sich eine so banale und nebensächliche Bemerkung angesichts unseres Wiedersehens aufdrängen).
    Lachen, Umarmungen, Maximes übliches Kompliment über mein großartiges Aussehen eines jungen Weltklasse-Champions (»nach dir« lautete meine übliche Antwort), Schulterklopfen, Geburtstagswünsche.
    Maxime war ein Jahr älter als ich. Wir waren beide am 6. Juni in derselben Stadt geboren, wo wir auf dieselbe Schule gegangen waren. Bis auf einen zweijährigen Zeitraum, der auf das Ende unseres Studiums gefolgt war (Maxime Jurastudium, ich Musikstudium), einen Zeitraum, in dem Maxime kaum ein Lebenszeichen von sich gegeben hatte (ich komme noch darauf zurück), hatten wir uns in regelmäßigen Abständen getroffen. Das war gar nicht so einfach: Denn Maxime, der zunächst als Dozent gearbeitet hatte und sich bei allem, was er anging, als hochbegabt erwies, wurdeschon bald Experte für Internationales Recht bei der Europäischen Kommission in Brüssel und wurde an die verschiedensten Orte der Welt beordert. Derzeit arbeitete er in Chişinău in Moldawien. Da man ihm beim Reisen weitgehend freie Hand ließ, konnte er es stets einrichten, zu unserem Geburtstag in Saint-Maur zu sein, und war jedes Mal glücklich, eine Zeitlang in seinem Geburtshaus wohnen zu können, und glücklich, mich wieder zu sehen.
    Wir gingen durch das kleine Gartentor.
    Pro Minute stellten wird uns zwanzig Fragen. Maxime lächelte mir zu, wobei er diesmal davon absah, wie üblich den Mund hinter der linken Hand zu verbergen (denn er war der Ansicht, sein Lächeln würde zu viel vom Zahnfleisch entblößen, was weder falsch noch richtig war).
    Ich fragte ihn über seine Arbeit aus. Seit ein oder zwei Jahren war er weniger zufrieden als sonst.
    »Immer dieselben Absurditäten«, sagte er. »Zu viele ›Fortbildungsseminare‹ in letzter Zeit. Ich finde das grauenhaft. Innerhalb von zwei Tagen soll ich Richtern, die anschließend zehnmal verwirrter sind als zuvor, Kenntnisse vermitteln, die ein jahrelanges Studium und viel Erfahrung voraussetzen. Das Schlimmste daran ist die mangelnde Koordination zwischen den Teams. Die Welt schreitet in Rückwärtsschritten nach vorn, mein Lieber. Nein, sie rast im Eiltempo ihrem Ende entgegen … Kurz, es ist mir gelungen, eine Gegend ohne Strom mit Computern zu überschwemmen, du kannst dir vorstellen, wie stolz ich darauf bin.«
    Kündigen? Er hatte mit dem Gedanken gespielt. Aber er brauchte eine Ersatzlösung. Maxime fand nur Ruhe, wenn er tätig war. Seine Arbeit erlaubte ihm, seine Reiselust zu befriedigen, seinen Drang nach ständiger Bewegung, nach ständigen Ortswechseln, das Bedürfnis, nirgendwo zu sein, das Bedürfnis, überhaupt nicht zu sein (ich verfolge meinen Gedanken zu Ende), wobei sie ihm zugleich die Gelegenheit gab, die Welt zu verändern, seinen Abdruck auf ihr zu hinterlassen und auf diese Weise das ihn insgeheim quälende Gefühl der Nichtexistenz zu mildern.
    Maxime Voutant-Bersot und Luis Archer, einunddreißig und dreißig Jahre alt, durchquerten den Park wie zwei Jugendliche, wie die Jugendlichen, die wir geblieben waren.
    Sein großer, schöner Wohnsitz war gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Louis XVI-Stil erbaut worden. Das quasi unsichtbare Dach, die puristischen Formen nach antikem Vorbild, die hohen Fenster und zahlreichen horizontalen Linien, die die Fassade durchzogen, ließen es ein wenig wie eine Filmkulisse aussehen, die man zwischen den Bäumen aufgestellt

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