Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
Vom Netzwerk:
unternehmungslustig, und entdeckt, dass Spartakus ihn einmal mehr kujonniert hat, und zwar nicht zum letzten Mal. Robin führt unglaublich genaue Details an. Soll ich dir eingießen?«
    »Danke«, antworte ich. »Nun, er hat sicher viel über das Thema gelesen. Was die Details betrifft …«
    »Leider nicht überprüfbar. Sonst, wenn man einen Beweis hätte … würde Robin der Mann des Jahrhunderts werden, stell dir vor!«
    »Ganz davon abgesehen, dass auch du gegen den Beweis nichts hättest.«
    »Haha! Nein! Man müsste dann bloß noch herauszufinden, warum sich einige Personen an ihr früheres Leben erinnern, und andere nicht. Im Übrigen ist mir dieses Jahr in Chişinău etwas aufgefallen. Wenn man die Leute fragt, haben viele Erinnerungen, deren Ursprung und deren Umstände sie nicht kennen. Unbekannte Erinnerungsobjekte. Es geht nicht darum, sich wie Robinaus unbekannten Gründen und in der Erwartung, dass die Rätsel sich erhellen, an alles zu erinnern (sagte Maxime mit einem neuen Lächeln, das er nicht verbarg, tatsächlich, heute war der Abend des befreiten Lächelns, pfeif aufs Zahnfleisch), sondern darum, eine dunkle Erinnerung zu haben, und sei es auch nur eine einzige, von der man nicht weiß, woher sie rührt – die aber dennoch da ist, in uns, tief eingeschrieben … Entschuldige, ich langweile dich. Zumal du der Oberbefehlshaber jener Armee an Leuten bist, die sich nicht erinnern können …«
    »Das ist gar nicht ausgemacht«, erwiderte ich, zu meiner eigenen Überraschung, ohne nachzudenken. »Ich hatte es ganz vergessen, aber hier, jetzt, da du gerade darüber redest … nichts Verblüffendes, aber ich sehe, wie deine Augen zu glänzen beginnen …«
    »Schieß los, ich bin ganz Ohr.«
    »Am Donnerstagabend nach meinem Unterricht ging mir plötzlich eine Stelle aus einem Gedicht oder einem Lied durch den Kopf. Ich erinnerte mich an vier Verse, aber nur an diese. Unmöglich herauszufinden, woher sie stammen, aus welchem Gedicht, von welchem Dichter. Einfach nervtötend. Wieder zu Hause habe ich in meinen Büchern, auf der Festplatte meines Computers gesucht, nichts. Dann habe ich nicht mehr daran gedacht, bis heute Abend.«
    »Sagst du sie mir auf?« (meinerseits ein zögerliches »Ja«.) »Komm! Wir wollen meine Allgemeinbildung testen.«
    So linkisch wie man sich manchmal vor einer nahestehenden Person geben kann, wenn man etwas aufsagt oder singt, fing ich mit meinem Vierzeiler ein, wobei ich meine eigene Stimme kaum wiedererkannte:
    Die Liebesträume früher Jahre
    sind sämtlich mit der Zeit entschwunden
.
    Auf dass ich in Erinnerung wahre
    mein Warten, bis ich dich gefunden
.
    »Sehr hübsch! Und wie passend! Diese vier Verse nehmen einen originellen Platz in unseren Gesprächen ein … aber ich kennesie nicht. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was es sein könnte.«
    »Ich auch nicht. Vielleicht ein vergessenes Lied, das ich als Kind gehört habe. Vielleicht hat mich kürzlich eine Melodie daran erinnert, und dabei ist der Text wiedergekommen? Ich weiß es nicht.«
    »Jedenfalls, wenn du es wiederfindest …«
    »Verlass dich auf mich, du erfährst es als erster.« (Ich zeigte auf ein Schachspiel:) »Wollen wir eine Runde spielen?«
    »Hast du Lust?«
    »Eigentlich nicht. Und du?«
    »Ich auch nicht.«
    Er zündete sich eine Zigarette an und wir unternahmen einen Spaziergang durch den Park. In dem Moment – es herrscht absolute Stille, kein Lüftchen wehte – vernahmen wir Klaviermusik in der Ferne, kaum hörbar. Es war nicht Gavrilov, dessen Platte am Ende des Prestos beim letzten Klavierkonzert verstummt war. Das Klavierstück konnte nur aus dem Haus Nummer 1 herüberklingen.
    »Ist es eine Platte oder spielt da jemand?«, fragte ich.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Spielen deine Nachbarn Klavier?«
    Wie liefen an der Hecke zwischen den beiden Grundstücken entlang. Es gab keinen Zaun, man hätte problemlos von einem Garten in den anderen schlüpfen können.
    »Ich weiß nicht. Vor diesem Abend war es mir nicht aufgefallen.«
    Er legte beide Hände auf den Kopf, drückte dabei die Haare platt und zog sie ein wenig nach hinten. Er trug das Armband von Cordoba.
    »Passt das Armband, ist die Größe richtig?«
    »Perfekt. Und ich liebe diese kleinen boshaften Fratzen an meinem Arm. Mit etwas Glück wird alles Böse, das in mir steckt, auf diesen Weise verschwinden.«
    »Wollen wir’s hoffen«, erwiderte ich.
    Beinahe hätte ich hinzugefügt: »Welches Böse? Welches Bösesteckt in dir? Sag

Weitere Kostenlose Bücher