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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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eine Rakete, und dann, sobald der Motor wieder abgeschaltet wird, erreicht er den Scheitelpunkt der Parabel. An diesem Punkt, in Hundert Kilometern Höhe, würde Maxime die Aussicht genießen, die man von der Umlaufbahn aus hat, er würde die Sonne und die Sterne sehen, die Rundung der Erde, ihre Wölbung am Horizont, den Übergang zwischendem Tiefschwarz des Himmels und dem Blau des Planeten, und er wäre für vier Minuten schwerelos, in weiter Ferne, er wäre beinahe ein anderer, ganz seinem Wunsch entsprechend, an einem anderen Ort des Kosmos und fast in einem anderen Körper.
    »Hast du immer noch keine Angst?«, fragte ich ihn.
    »Überhaupt nicht. Angst wovor? Vorm Sterben? Ich bin doch schon tot. Weißt du das nicht mehr? Im Übrigen bin ich unzufrieden mit den Feen, die sich über meinen Sarg gebeugt haben, haha! Mein Lachen klingt gezwungen, das hörst du ja. Ich, Angst vorm Sterben?« (Er war aufgewühlt. Er beugte sich vor, um den gekauften Käse zu begutachten.) »Nein. Doch, manchmal, aber dann richtig. Vor allem wäre ich nicht ruhig, wenn ich diesen Ort verließe, ohne mein Testament gemacht zu haben. Aber ich zögere den Moment hinaus. Ein dummer Aberglaube. Angst, überfahren zu werden, wenn ich vom Notar komme. Du siehst, ich habe Angst vor dem Sterben.«
    »Bei mir ist es dasselbe. Ich kann mir schlecht vorstellen, mein Testament zu verfassen.«
    »Ja, aber …«
    »Ja?«
    »Stell dir vor, ich habe die Absicht, dich als Alleinerben einzusetzen. Ich werde den vortrefflichen Diego Ruiz darauf ansprechen, du musst ihn unbedingt einmal kennenlernen, ich habe ihm schon so viel von Luis Archer erzählt.«
    Diego Ruiz war einer seiner guten Freunde und seit Langem auch sein Geschäftspartner.
    Alleinerbe! Nun begriff ich, warum er plötzlich so nervös geworden war.
    Um seine Befangenheit zu verbergen, kündigte er mir die Neuigkeit an, als wolle er mich darauf hinweisen, dass bei Einbruch der Dunkelheit die Temperatur im Esszimmer sank, (denn die vier Fenster zum Park standen offen). Ich hatte nicht speziell an den Tod gedacht, als ich ihn fragte, ob ihm sein bevorstehendes Raumfahrtabenteuer denn keine Angst bereitete. Danke, ichwar überrascht, peinlich berührt, aber dass er starb, kam nicht in Frage, murmelte ich, während ich die mir entgegengereichte Käseplatte in Empfang nahm.
    »Ich hege auch nicht die Absicht«, fügte er hinzu. »Ich empfehle dir den Ziegenkäse. Beim Käse hat man keinen Mord auf dem Gewissen. Nein, also, was ich dir sagen will, ist: Ich habe keine Eltern, keine richtige Familie mehr … Gut, ich sterbe nicht, aber für den Fall, dass doch, wirst du mein Erbe. Nimmst du es mir übel, dass ich es dir gesagt habe?«
    »Nein, natürlich nicht, aber …«
    »Gut, also reden wir nicht nur darüber. Musik. Ich lege eine Platte auf, das ist der passende Moment. Hast du meine neue Bassbox gesehen?«
    »Nein.«
    »Atohm X 300, das neueste Modell. Hier. Wenig Volumen, aber hohe Leistung. Kein High Fidelity ohne extreme Tiefen.«
    Er stand auf und legte Klavierkonzerte von Bach in der Interpretation des Pianisten Andrei Gavrilov auf.
    Einzelkind, die Eltern früh gestorben, das galt auch für mich, wir hatten unzählige Gemeinsamkeiten. Mit dem kleinen Unterschied, dass seine Eltern ihm einen hübschen Batzen Geld hinterlassen hatten. Allerdings auch keine Reichtümer, wie ich früher geglaubt hatte, denn sein Vater hatte sich in den letzten drei Jahren seines Lebens beinahe ruiniert. Luc Voutand-Bersot besaß mehrere Fabriken für Damenunterwäsche einer bekannten Marke. Sein Unternehmen war sein ganzer Daseinsgrund. Als es mit dem Unternehmen bergab ging, hatte er versucht den Bankrott durch alle erdenklichen Mittel abzuwenden, auch durch nicht ganz legale. Dieser Niedergang (das war leider das passende Wort) hatte zwei Jahre gedauert, zwei Jahre, im Verlauf derer er in verruchten Milieus ein- und ausging, in jenen Milieus, mit denen die Großindustrie häufig Umgang pflegt, aber es half alles nichts.
    Dann war er gestorben. Maxime, der sein Studium beendet hatte, versuchte der Schließung der Fabriken entgegenzuwirken.Doch es gelang ihm nicht. Er war für diese Art von Tätigkeit nicht geschaffen. Dafür gelang es ihm, Beziehungen in die eben erwähnten Milieus zu knüpfen.
    Aber kommen wir zum eigentlichen Punkt – um es einmal ganz klar zu sagen: Weder das von seinem Vater geerbte Geld, noch die mehr als komfortablen Honorare, die ihm die Europäische Kommission überwies, konnten

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