Gesichter im Nebel (German Edition)
ihrerseits.
„Aus dem Haus da oben. Mein Papa ist ein Ledermacher. Er hat ganz tolle Taschen mit Bildern drauf und die verkauft er manchmal.“
„Au, fein, kann ich die mal sehen?“, fragte Brighid, neugierig geworden.
„Klar doch, komm mit, wir zeigen sie dir.“
Und die beiden Mädchen, nun schon ganz zutraulich geworden, griffen sie an der Hand und zogen sie mit.
In der Tat, die solcherart Überrumpelte staunte nicht schlecht, als sie die urige Hütte von Neil betraten. Der Ledermacher saß an seinem Tisch und schnitt gerade neue Häute zu. An einigen Wandhaken sah sie die Produkte seiner Arbeit hängen und war überrascht von der schlichten Form und den matt glänzenden, gälischen Motiven. Über dem schwach glimmenden Kaminfeuer hing eine weitere Umhängetasche im Rauch und nahm langsam eine unverwechselbare, braungoldene Patina an.
„Toll, wirklich ganz toll!“, entfuhr es ihr.
Der Mann am Tisch drehte sich um.
„Na, wen habt ihr denn da mitgebracht?“
„Eine Meerjungfrau“, kicherte Caroline.
„Was du nicht sagst“, antwortete Neil und maß die Besucherin mit einem anerkennenden Blick. „Und hat die Nixe auch einen Namen?“
„Ich heiße Brighid. Ich bin zu Gast hier und wohne in der Jugendherberge. Deine beiden Töchter, wie ich annehme, haben mich da unten am Strand aufgegabelt und wollen mir deine wunderbaren Taschen zeigen.“
„Ich bin Neil“, antwortete der Mann, „ja, sieh sie dir nur an. Ich mache gerade eine neue Kollektion für Dublin fertig. Du kannst natürlich“, fügte er verschmitzt und geschäftstüchtig an, „auch eine davon kaufen.“
„Das werde ich auch tun“, antwortete sie, „sie sind wirklich was ganz Besonderes. Und mein Vater wird sich ohne Zweifel sehr über diese Arbeit freuen. Weißt du, er beschäftigt sich mit der gälischen Vergangenheit, er ist geradezu vernarrt in diese verschlungenen, mythologischen Motive. Er ist Historiker.“
Sofort musste Neil an ihre geplante Unabhängigkeit denken. Das wäre vielleicht ein guter Verbündeter in Dublin. Schließlich könnte dieser Mann von kompetenter Seite die historischen Hintergründe bestätigen und die winzige Monarchie begründen, die sie vor Augen hatten, vielleicht auch etwas Praktisches dazu beisteuern. Er jedenfalls wollte das im Auge behalten und nahm sich vor, den Kontakt zu der jungen Frau zu vertiefen, um mehr zu erfahren.
Inzwischen wählte die überraschende Besucherin eine der Taschen aus. Sie hatte eine ovale Form und war mit zwei Drachenköpfen verziert, deren Hals jeweils in einen geschuppten Schlangenkörper überging. Die beiden Leiber waren ineinander verschlungen und endeten wieder in einem Drachenschwanz. Das Motiv hatte sie besonders beeindruckt. Da war etwas von archaischer Vorzeit zu spüren, als die Menschen noch an Fabelwesen und Geister aus der Ursuppe der Erde glaubten.
„Eine gute Wahl“, kommentierte Neil, „es ist in der Tat eines meiner Lieblingsmotive. Und du kannst versichert sein, dass die Tasche ein Unikat ist. Ich mache niemals zweimal dasselbe. Aber wie ich da sehe, hast du da ebenfalls etwas sehr Seltenes um den Hals. Darf ich mir das einmal näher ansehen?“
„Aber sicher doch“, gab sie zurück, „es ist ein Geburtstagsgeschenk von Papa und ebenfalls ein Unikat. Ein Goldschmied in Dublin hat es angefertigt.“
Just in dem Augenblick, als Neil das Medaillon in die Hand nahm und dabei gefährlich nahe an ihre Brüste kam, trat seine Frau Cathleen in die Tür und räusperte sich hörbar.
„Keine Sorge, Liebling“, grinste Neil, „mein Interesse gilt nur dem Medaillon!“
Sie lachte.
„Das will ich dir auch geraten haben, du Spitzbube. Appetit kannst du dir meinetwegen holen, gegessen wird aber zu Hause. Ist das klar? Entschuldige“, fuhr sie, an Brighid gewandt, fort, „das war natürlich im Spaß gemeint. Darf ich mich vorstellen, ich bin Cathleen, die Frau dieses neugierigen Kerls!“
„Angenehm. Ich heiße Brighid und komme aus Dublin“, gab sie zurück, „deinem Mann habe ich mich schon vorgestellt und ich will eine seiner wunderhübschen Arbeiten kaufen und zwar die hier.“ Und sie hielt die ausgewählte Ledertasche hoch.
„Ja, das ist ein schönes Stück. Du hast aber auch einen schönen, alten irischen Namen. Heute gibt es das nicht mehr so häufig.“
„Da hast du recht. Aber mein Vater ist nun einmal ein gälischer Traditionalist und da musste schließlich ein dazu passender Vorname her. Und ich bin’s auch ganz zufrieden
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