Gesichter im Nebel (German Edition)
Spaziergang neben Xirian aus. Der Rotschopf hatte soeben seine fangfrischen Hummer in mit Salzwasser gefüllten Boxen an Bord abgeliefert. Als Jean-Pierre mit einem verächtlichen Schnaufer die beiden Männer passierte, sagte der Blinde zu seinem Gegenüber nur einen Satz auf Gälisch: „Das ist ein böser Mann, ich spüre es, ja ich habe es schon bei seiner Ankunft gefühlt!“
Der Lobsterking nickte. Er dachte ähnlich. Was der blinde, alte Mann über Neuankömmlinge sagte, galt ohnehin so etwas wie Gesetz auf der Insel. Es hatte sich bisher noch immer herausgestellt, dass er mit seinen Beurteilungen richtig lag.
Dann ging auch Brighid in ihren Jeans und ein paar bequemen Sportschuhen an ihnen vorbei. Sie hatte einen dunkelgrünen Pullover an und es war eine Wonne, sie nur anzusehen. Lobster aber konzentrierte sich auf ihren Pulli und entglitt in Gedanken in allerlei unsittliche Sehnsüchte.
„Sensationelle Titten, sie stehen wie zwei Wachtürme“, dachte er.
Wieder, wie schon nach ihrer Ankunft, war es dem Blindmann, als umschwebe diese junge Frau eine große Gefahr. Noch konnte er es nicht einordnen, aber es mochte mit dem französischen Kerl von eben zusammenhängen.
„Guten Morgen auch“, grüßte sie mit fester Stimme.
„Ich habe gesehen, dass du da so Metallkästen verladen hast“, wandte sie sich an Lobster, „darf ich neugierig sein und fragen, was da drin ist?“
„Eh nun“, antwortete der, sichtlich erfreut über ihre Ansprache, „das sind meine Hummer drin, sie gehen an die Franzosenkundschaft auf dem Festland. Die essen ja sogar Frösche und Schnecken, hab’ ich mir sagen lassen. Aber sie bezahlen dafür gut und dann können sie meinetwegen fressen, was sie wollen!“ Und er lachte.
„Ist nicht auch dein Freund von eben ein Franzose?“, fasste er gleich nach.
Erneut gab sie unmissverständlich zu verstehen: „Das ist nicht mein ‚Freund’! Wir haben uns nur zufällig in Baltimore getroffen, als wir auf die Fähre warteten. Seither hängt er sich an mich.“
„Ist ja auch kein Wunder bei deinem Aussehen. Da könnte ein jeder schwach werden“, befleißigte er sich anzufügen.
„Danke für das Kompliment“, lachte sie schelmisch, dennoch natürlich geschmeichelt, zurück, „das richtet einen am frühen Morgen ja geradezu auf. Also denn; schönen Tag zusammen!“
Sie schlenderte weiter, froh, dass Jean-Pierre noch nicht aus seinem Vogelhaus zurück war und sie erwartete. Schnell schlug sie sich auf dem kleinen Weg nach Osten bergauf davon. Sie wollte diesen morgendlichen Spaziergang endlich alleine genießen.
Als der Vogelbeobachter zurückkam, war sie bereits um die nächste Felsnase verschwunden. Das verärgerte ihn noch mehr. Er hatte zudem das unbestimmte Gefühl, dies könne mit diesem Kerl zusammenhängen, der jetzt gerade in Richtung Baltimore davon schaukelte. Und er murmelte ungehalten und wenig vornehm vor sich hin: „ Putain merde Irlandais ! Scheiß-Ire, verdammter!“ Er konnte froh sein, dass niemand die Beschimpfung gehört hat, sonst hätte es vermutlich eine gehörige Tracht Prügel gesetzt. Denn beleidigen ließen sich die Caper gleich dreimal und von einem Frog schon gar nicht.
Dann ging der bislang erfolglose Freier verärgert zur Herberge zurück, in der vagen Hoffnung, Brighid hätte sich bereits wieder dort eingefunden. Doch Pustekuchen. So machte er sich halben Herzens auf den Weg zu den Klippen, um die gefiederten Schreihälse zu beobachten. Brighid würde er ja spätestens abends am Kamin der Herberge wieder treffen.
Unter den Vögeln an den südlichen Steilwänden der Insel waren wirklich einige Exemplare, die er noch nie in freier Natur gesehen hat und sonst nur aus einem seiner ornithologischen Werke von Abbildungen kannte. Sie schienen auf dem Durchzug weiter nach Norden Station auf Cape gemacht zu haben und suchten in den fischreichen Gewässern rund um die Insel nach Nahrung, bevor sie ihren Weiterflug antraten. Im Herbst dürften sie dann auf ihrer Reise in südliche Gefilde wieder da sein.
Nach einer kurzen Wegstrecke passierte Brighid gerade ein einzeln stehendes Steinhaus mit einem kleinen Garten in der Nähe der kleinen Kirche. Es war die Behausung von Paddy O’Donohogue. Wie es der Zufall wollte, kam er gerade aus der Tür, wollte runter zum Hafen und sich später gegen Abend vielleicht ein verträumtes Pint bei „Cotter’s“ genehmigen, sollte es dann nicht erneut wie aus Kübeln schütten. Auch Paddy starrte die junge
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