Gesichter im Nebel (German Edition)
Schönheit wie die Erscheinung aus einer anderen Welt an.
„Donnerwetter, beim Heiligen Cirian“, dachte er, „das ist aber mal ein Prachtstück von Frau. Die würde so leicht keiner von der Bettkante schubsen. Und was sie für aufregende Klöpse unterm Hemd hat! Die sind ja beinahe schon waffenscheinpflichtig.“
„Guten Morgen“, grüßte er freundlich und tippte an seine Mütze, „schönes Wetter, ist es nicht so?“
Sie stoppte einen Moment und erwiderte gut gelaunt: „Ja, das ist wohl wahr. Aber ich glaube, gegen Abend wird es wieder schlechter.“
„Da magst du recht haben“, krächzte der sonst eher wortkarge Paddy mit belegter Stimme, „ein neuer Sturm wird kommen. Deshalb bin ich heute erst gar nicht zum Fischen. Wo kommst du her, wenn ich fragen darf?“
„Aus Dublin. Ich will mich hier mal etwas erholen von dem ganzen Trubel.“
„Du bist wahrscheinlich in der Jugendherberge. Oder hast du hier vielleicht Verwandte?“
„Nein, sicher nicht. Ich bin zum ersten Mal da. Es ist wundervoll. Habt euch ein hübsches Fleckchen Erde ausgesucht.“
„Ja, das ist wohl so. Möchte nicht tauschen, mit keinem anderen Ort der Welt, obwohl ich von der noch nicht viel gesehen habe.“
„Es soll hier einen Schwörstein für die jungen Paare geben. Weißt du, wie ich dahin komme?“
Nein, nicht schon wieder dieser vermaledeite Stein! Das reicht mir noch vom letzten Mal, dachte er erschreckt. Laut aber sagte er: „Ja, du musst nur hier rechts auf die Hügel, dann siehst du ihn. Es sind allerdings zwei solcher Brocken da, nur dass der eine kein Loch in der Mitte hat. Ich weiß auch nicht, wozu der gut war.“
„Vielleicht ist das eine Art Altarstein gewesen“, meinte sie, „die alten Kelten hatte solche Kultstätten, wo sie auch opferten und mit ihren Göttern sprachen.“
Da fiel Paddy plötzlich seine heimliche Lektüre ein. Hatte sein Vorfahr nicht in seinen Träumen sogar eine solche Opferung miterlebt und dann beschrieben? Wie war das noch? Ja, „ein Mensch wurde getötet und der Druide sagte dabei die Zukunft voraus.“
Alsogleich nahm er sich vor, während des erwarteten neuen Sturmes die Lektüre der alten Schrift wieder aufzunehmen. Das war dann das richtige Wetter dafür und er musste die Zeit auch nicht von seiner Arbeit stehlen.
In diesem Augenblick spürte er es: Um diese Frau gab es irgendein Geheimnis. Er glaubte, dass ihm die unsichtbaren Schattenwesen dies eingaben, die jetzt ganz sicher auch um sie waren. Aber das konnte er ihr natürlich nicht preisgeben. Und sie ahnte ja auch nicht, konnte gar ahnen, was hier so alles vor sich ging.
„Weißt du“, meinte sie noch, „mein Vater ist Historiker. Er studiert die Vergangenheit und die keltische Geschichte. Ich soll ihm ein Foto von diesem Stein mitbringen, für seine Sammlung. Er hat ganze Alben voll solcher Bilder, von Ausgrabungen und seltenen Funden.“
Schon im Weitergehen, wünschte sie auch ihm einen schönen Tag.
Er stand noch eine Weile bewegungslos und starrte ihr fasziniert nach. Ja, so etwas, das wäre schon etwas für ihn. Kein Vergleich mit Mildred. Die hier war wirklich eine Königin, eine Göttin dagegen, eben eine Traumfrau, wie sie nur selten vorkam, schon gar nicht hier auf Oiléan Chléire. Aber, so wurde ihm schmerzlich bewusst, der arme Fischer Paddy hätte bei so einem Wesen nicht die geringste Chance. Hinter der würde wie ein Mückenschwarm im Sommer mit Sicherheit eine ganze Horde junger Männer her sein. Und das konnte er ihnen nicht einmal verdenken.
Dann schritt auch er gedankenverloren in die entgegengesetzte Richtung weiter. Irgendwie, trotz dieser Erkenntnis seiner Nichtigkeit, fühlte er: Sie hatte sein Herz angesengt. Sie ging ihm während seines ganzen Weges runter zum Hafen nicht mehr aus dem Kopf. Er konnte ja noch nicht ahnen, dass er mit diesem Gefühlssturm nicht alleine war und ausgerechnet, neben dem Franzosen, auch einer von der Driscoll-Sippe hinter der blonden Schönheit her war. Das musste ohne Zweifel irgendwann zu Komplikationen führen.
Auch das noch! Musste er ihr denn begegnen? Hatte er nicht schon genügend andere Probleme am Hals? Denn er bemerkte seit Tagen, dass nun auch er, wie sein Ahnherr, damit begann, die Mitbewohner auf der Insel mit argwöhnischen Augen zu betrachten und den Einfluss der Luftwesen auf die jeweilige Person zu spüren. Er hatte wirklich endgültig seine Unschuld eingebüßt und einen anderen Blick gewonnen. Gerade vorhin war das wieder ganz
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