Gesichter im Nebel (German Edition)
lasse die Bilder von dem Schwurstein entwickeln und schicke dir die Fotos zu. Dann können wir etwas ausführlicher telefonieren. Weißt du, hier haben selbst die Steine große Ohren.“
Der Postmaster hinter seiner Tür zuckte wie ein ertappter Schuljunge zusammen.
„Gut“, antwortete Sean Walsh, „ich warte gespannt wie ein Flitzebogen auf deinen nächsten Anruf, zuhause bin ich ja ohnehin den ganzen Tag. Dann kannst du mir mehr erzählen.“
„Ok, bis morgen und blick nicht vor lauter Schreck zu tief ins Glas!“
Jetzt war es der Vater, der zusammenzuckte. Hatte sie es doch gemerkt, die kleine Range, dass er sich wieder regelmäßig seinen Schlummertrunk gönnte. Aber sie war ja schon immer ein helles Köpfchen gewesen.
Brighid dachte nur kurz über die Worte ihres Vaters nach. Sie fand keine vernünftige Erklärung für ihre Leidenschaft. Was also konnte es anderes sein als Liebe?
Und der wunderfitzige Postmaster hatte jetzt etwas zu rätseln. Wer nur mochte der Glückspilz sein, der eine solche Blume pflückte? Sicher war es einer der Dubliner Burschen, die mit ihr gekommen waren und die in der Jugendherberge hausten. Der Franzose konnte es nicht sein, soviel war klar. Sie hatte schließlich bei „Cotter’s“ die eine oder andere abfällige Bemerkung fallen lassen. Auch sonst konnte es keiner der Franzosen sein, die hatten ja alle ihre Liebchen dabei. Aber, wenn es gar einer der Inselburschen wäre? Nicht auszudenken. Ja, dann kämen nur der Driscoll oder Paddy O’Donohogue infrage, der bei seinem Spaziergang mit dieser blonden Schönheit selbstredend gesehen worden war.
Den Herrn der Briefe plagte natürlich bei solchen Gedanken große Eifersucht, hatte er selbst doch kein Frauenzimmer abbekommen. In seiner Fantasie malte er sich immer mal wieder aus, was wäre, wenn…
Brighid plante den Ausflug allerdings aus einem ganz anderen Grund, als nur ihrem Vater seine Bildchen zu senden. Sie hat den Trip heimlich zusammen mit Patrick ausgeheckt. Nur so bekamen sie Gelegenheit zu einem unbeobachteten Liebesstündchen. Auf der Insel war das nicht möglich. Unverheirateten Paaren waren die Freuden der Liebe nicht vergönnt. Und wo auch? In der Jugendherberge? Bei Nacht und Nebel oben im Lighthouse? In der kleinen Bucht, in der sie die beiden Mädchen traf? Sie hätten überall beobachtet werden können.
Brighid wollte eine solche Begegnung ungestört genießen. Und als Patrick vom Vater die Order bekam, etwas in Cork zu besorgen, das es weder in Baltimore noch in Skibereen gab, war die Idee schnell geboren, ebenfalls unter Vorgabe eines wichtigen Grundes und einen Tag später eine Reise in die Metropole der Grafschaft anzutreten. Ihr Geliebter wollte sie an der zentralen Busstation erwarten und dann, so ihr heimliches Kalkül, nichts wie ab in ein kleines verschwiegenes Boardinghaus oder eines der Hotels am Hafen.
Die junge und bis über beide Ohren verknallte Brighid wollte ganz pragmatisch, wie bei allem in ihrem ganzen Leben bisher, auch in der Liebe gleich Nägel mit Köpfen machen. Sie träumte bereits unruhig davon, Patrick ganz zu besitzen und ihrer erwachten Leidenschaft keine Zügel anlegen zu müssen. Ihr junger Körper verlangte beinahe fiebrig nach einer Umarmung, ihre Seele brauchte den Schutz eines männlichen Gegenpols. Gleichgültig schien ihr da überkommene Moral, egal waren ihr die Regeln der katholischen Kirche und schon gar die in solchen Fragen strengen Gesetze der Inselgemeinschaft. Da war sie ein modernes Großstadtkind, während Patrick sich zu diesem Zeitpunkt niemals getraut hätte, einen solchen Vorschlag zu machen, selbst wenn ihm genauso danach zumute war und seine Lenden wie Feuer brannten. Gleichwohl stimmte er begeistert ein, als sie mit ihrem Plan rausrückte, und warf seinerseits alle Bedenken über Bord.
Zudem schien mit dem Aufkeimen dieses Frühlings in Brighid auch ihr uraltes wildes Erbe zu erwachen, das auch Daira innewohnte, die sich einst Schwerthand kompromisslos und der Stimme des Blutes folgend in die Arme warf und dabei alle Konventionen über Bord gehen ließ. Die Schatten hatten in der Tat ganze Arbeit geleistet. Doch die Beteiligten wussten nichts davon.
Am nächsten Morgen trieb Brighid die Ungeduld schon früh aus den Federn. Sie wusch sich mit eiskaltem Wasser, trank hastig eine Tasse Kaffee, schlang ein Brot mit Hartwurst herunter und trollte sich, ein Lied summend, zum Hafen. Da waren die Caper eben dabei, zwei unwillig blökende Schafe auf Deck
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