Gesichter im Nebel (German Edition)
Paddles tragischem Tod und Begräbnis. Schwankend und stolpernd summte er wieder eines seiner Lieblingslieder, stieß mit dem Schuh ein paarmal gegen Steine und wäre fast gefallen. Doch was ein rechter Seebär war, balancierte so etwas natürlich aus. Das wäre doch gelacht, wenn er jetzt wegen der paar Bierchen kapitulieren müsste.
Er wackelte weiter den steilen Weg zu seiner Hütte hoch. Der Alkohol summte in seinem Schädel herum wie nichts Gutes. Und ab und an – so meinte der alte Knochen – führte das zu allerlei Trugbildern und Erscheinungen. Etwas anderes konnte es ja nicht sein, davon jedenfalls war er überzeugt. Denn er glaubte in der Tat, ihm fremde Gestalten vor sich zu sehen. Sie huschten über seinen steilen, steinigen Pfad, führten allerlei seltsame Reigen vor, waren plötzlich verschwunden und tauchten an einer ganz anderen Stelle wieder auf. Alles geschah lautlos und wie im Traum. Declan fuchtelte mit den Armen durch die Luft, um die lästigen Schatten zu verscheuchen. Doch vergebens, sie narrten ihn weiter, zerflossen ineinander und trennten sich wieder. Sie schienen überall zu sein und doch nirgends. Sie hatten keine festen Konturen. Der nächtliche Heimkehrer schüttelte unwillig den Kopf und kniff die Augen zusammen.
„Mensch, hast du geladen“, murmelte er, „jetzt siehst du schon Gespenster.“
Laut rief er mit seiner krächzenden Stimme: „Weg da, aus dem Weg, der alte Declan lässt sich nicht an der Nase rumführen.“
Nicht einmal an Bord war er trotz allen Seemannsgarns seiner Kameraden je solchen Spukgestalten begegnet. Keinem Klabautermann, keinen Elmslichtern, keinem fliegenden Holländer und keinen Seejungfrauen. Und nun an Land sollte ihm gerade jetzt so etwas passieren?
Ach, das waren Einbildungen seines Suffs! Voll bekleidet warf er sich auf seine Lagerstatt. Es drehte sich alles um ihn, aber der Alkohol ließ ihn zum Glück bald in einen tiefen Schlaf fallen.
Ein gestandener Salzwasserbuckel, so dachte er noch, lässt sich so leicht nicht aus der Fassung bringen, auch nicht durch Gespenster.
„Pass auf Alter“, murmelte er schlaftrunken, „bald siehst du noch weiße Mäuse und bekommst das Delirium, von dem sie immer alle sprechen.“
Und er nahm sich vor, die nächsten Tage die Notbremse zu ziehen und „Cotter’s“ und die geliebten Bierchen erst einmal zu meiden.
Einigen anderen Heimkehrern erging es derweil sogar schlechter. Sie fanden sich plötzlich in den seitwärtigen Büschen des Stechginsters wieder, rissen sich die Ärmel auf oder zerkratzten sich Gesicht und Hände. Es war ein gewaltiger Umtrunk, mindestens so wie am St. Patrick’s Day. Ja, ein paar „Murphy’s“ zu viel und vielleicht den einen oder anderen Rum mit Black Current dazwischen konnten selbst die stärksten Männer wie einen Baum fällen, auch die ansonsten besonders trinkfesten Insulaner. Wer sagt denn, dass die Katz’ keinen Buckel hat!
Unterdes hatte die Vollmondnacht begonnen. Groß und rot schob sich der Erdtrabant über den Horizont, wurde dann optisch kleiner und sandte sein fahles Gelb als Streifen über die Weiten des Atlantischen Ozeans, eine geradezu ideale Beleuchtung für das gewagte Vorhaben von Paddy und Xirian. Die beiden Männer machten sich auch zu dieser nächtlichen Stunde so heimlich wie möglich auf den Weg zum Südhafen. Nachdem sie ihr Experiment mit der Schatztruhe hatten verschieben müssen, erhofften sie sich wenigstens von ihrer nächtlichen Aktion einen Gewinn, obgleich es vor allem Paddy nach dem Erlebnis der letzten Nacht etwas blümerant zumute war.
Es kam ihnen zugute, dass die meisten Caper noch bei „Cotter’s“ feierten und die wenigen, die schon auf dem Heimweg waren, alle Mühen hatten, stolpernd und fluchend oder singend und lachend den Weg zum rettenden Bett einzuhalten. Die Frauen gingen zu dieser Zeit ohnehin nicht vor die Tür, sie fürchteten sich wie eh’ und je, vor den Geistern der Vorzeit und anderen, unbekannten Gefahren aus der Dunkelheit. Diese Furcht steckte aus der wilden Vergangenheit der Insel mit ihren Piratenüberfällen, selbst aus dem fernen Land der Mauren, Kriegsgemetzeln und Anlandungen fremder Schiffe zu nächtlicher Stunde tief in ihrer Haut. Das war fast eine zweite Natur, die wird jemand so leicht nicht los, Urängste der Menschen aus einer Zeit des Aberglaubens und der Gewalt.
Ein paarmal drückten sich die beiden nächtlichen Wanderer schnell in den Schatten der Büsche und ließen die betrunkenen
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