Gesichter im Nebel (German Edition)
gespannt aus dem Fenster. Weit und breit kein Patrick. Sie spürte einen leichten Stich ins Herz. Was nur war geschehen, war ihm etwa etwas passiert? Er hätte eigentlich da sein müssen, denn es ging schon auf Mittag zu. Unruhig stieg sie aus, umklammerte ihre Umhängetasche wie einen Rettungsring und spähte um sich. Zum ersten Mal in ihrem jungen Leben erfuhr sie, wie dicht Liebe und Schmerz beieinanderliegen.
Doch dann konnte sie erleichtert aufatmen. Aus der Tür der Kneipe „Travellor’s Rest“ trat der heiß ersehnte junge Mann und blinzelte etwas unsicher in das blendende Sonnenlicht. Dann nahm er sie wahr und eilte strahlend auf sie zu.
Vergessen waren die Ängste der letzten Minuten. Sie stürzte ihm entgegen und fiel ihm um den Hals.
„Oh, Patrick, ich hatte schon Angst, es ist was passiert oder du hast mich gar vergessen“, hauchte sie.
„Was denkst du da, ich warte hier schon eine Stunde auf den ersten Bus aus Skibby. Da habe ich mir halt ein Pint gegönnt bei der Hitze.“
„Ich habe auch eine ganz trockene Kehle von der langen Fahrt. Komm, lass uns noch eins zusammen trinken. Dann erledige ich schnell das mit den Bildern von Papa und rufe ihn an. Der Rest des Tages bis zum letzten Bus gehört dann ganz uns. Ok?“
„Dein Wunsch ist mir Befehl“, grinste er. „Der Fotoladen ist auch nicht weit weg.“
Es blieb nicht bei einem Pint. Doch schließlich riss sie sich los und meinte: „Trink’ du in Ruhe aus. Ich bringe inzwischen den Film weg und erledige mein Telefongespräch. Ich habe es Papa schließlich versprochen.“
Sie schlenderte los, fand das Geschäft und erhielt Bescheid, dass sie die entwickelten Schnappschüsse am frühen Nachmittag würde abholen können. Dann suchte sie eine Telefonzelle und klingelte in Dublin an. Ihr Vater war sofort am Apparat. Er hatte schon sehnlichst auf den versprochenen Anruf gewartet.
„Hi, Daddy, ich bin jetzt in Cork. Es ist ein ganz toller Sommertag. Wie geht es dir?“
„Ich kann nicht klagen, außer, dass ich dich natürlich vermisse, aber daran muss ich mich jetzt wohl gewöhnen, wenn es auch nicht leicht fällt.“
„Ganz so schnell geht das sicher nicht. Ich bin ja bald wieder zuhause, die Semesterferien dauern nicht ewig. Leider!“
„Ich dachte schon, du wirst alles hinschmeißen und gleich da unten bleiben, so wie das bei unserem letzten Gespräch klang.“
„Wenn ich ehrlich bin, das wäre in der Tat verlockend.“
„Und dein Studium?“
„Ja, mhm, ich denke, ich muss es wohl zu Ende bringen. Es sind ja nur noch vier Semester.“
„Das ist vernünftig. Ja, wirklich, das ist es. Heute muss eine Frau etwas in der Hand haben. Die Zeiten sind vorbei, in denen das Weibervolk nur am Herd steht und Windeln wäscht.“
„Ja, vielleicht. Aber weißt du, das gilt vielleicht für Dublin. Hier unten ist es noch anders, so wie früher eben. So schnell geht die Entwicklung nicht und schon gar nicht die Emanzipation der Frauen.“
„Nun ja. Die alten Zeiten hatten auch etwas für sich. Aber wir können das Rad der Geschichte nicht aufhalten, so wie es schon die alten Kelten nicht konnten.“
„Daddy, ich glaube, von denen ist auf Cape noch allerhand übrig. Ich hatte manchmal das Gefühl, auf dieser Insel in ein anderes Jahrhundert zurück versetzt zu werden, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Natürlich, Kleines, ich hatte auf den Aaron-Islands manchmal ein ähnliches Gefühl. Die Leute sind mehr in ihrer Vergangenheit verhaftet als das Volk auf dem Festland. Sie haben noch eine innere Verbindung zu ihrer archaischen Herkunft. Aber nun erzähl mir mal was über deinen Kerl da, der dich so unverhofft in seinem Netz gefangen hat.“
„Hahaha, das hast du gut gesagt. Patrick geht nämlich manchmal auch fischen. Er ist ein Pfundskerl, mit beiden Beinen auf dem Boden und, glaube mir, er sieht verdammt gut aus, gar nicht so wie diese Weicheier auf der Uni. Ein paar hundert Jahre früher wäre er vielleicht sogar ein Pirat geworden.“
„Na, da geht dir wohl die Fantasie durch. Also stammt er von der Insel und lebt da?“
„Ja, er ist ein O’Driscoll. Weißt du, auf Cape gibt es nur zwei große Sippen, die andere sind die O’Donohogues, so wie das Pub bei uns in Dublin heißt. Du weißt, diese Kneipe, aus der auch die ‚Dubliners’ kommen.“
„Mhhm. Und was macht dieser Patrick sonst, außer Fische fangen?“
„Er hilft seinem Vater, der hat den größten Bauernhof da.“
„Das ist harte Arbeit. Bist du dir
Weitere Kostenlose Bücher