Gesichter im Nebel (German Edition)
zu bugsieren. Es würde noch einige Zeit dauern, bis die „Naomh Cirian“ ablegte, denn auch der Gezeitenstrom, weg von der Insel, hatte noch nicht eingesetzt. Diesen Schub wartete der Skipper natürlich ab, sparte er doch einiges an teurem Diesel.
Paddy O’Donohogue sah mit freudvollen Gefühlen ihren roten Anorak schon von Weitem. Beschwingten Schrittes kam sein Schwarm hügelabwärts näher. Natürlich hatte der Fischer im Pub von dem geschwätzigen Postmaster bereits am Vorabend die Neuigkeit vernommen, dass die blonde Schönheit verliebt sein sollte. Aber in wen? Ach ja, seine unerreichbare Traumfee, nun schien sie für ihn endgültig verloren, ins Reich seiner Träume verbannt. Und mit einer gewissen Trauer im Herzen sah er ihr zu, merkte, dass sie ungewöhnlich froh dreinblickte, jedermann munter grüßte und mit dieser Ausstrahlung auch den mürrischsten Burschen zu einem Lächeln verführte. Ja, der Postmaster hatte recht, sie musste frisch verliebt sein, sie strahlte es geradezu aus.
Die Sonne strahlte bereits jetzt wärmend vom Himmel und ließ den gelben Ginster an den Hängen hell aufleuchten. Ein Schwarm Vögel zog dunkel in seltsamen, immer wieder wechselnden Mustern über die See. Und in der Ferne leuchtete der Mount St. Gabriel, von der frühen Morgensonne angestrahlt, durch den über der Küste lagernden Dunst zu ihr herüber. Wäre die Sicht klarer gewesen, müsste Brighid mit Regen rechnen. So aber versprach alles, dass es ein schöner Tag bleiben würde, eine hochsommerliche Wetterlage, die so richtig zu der Hochstimmung ihrer jungen Liebe passte.
Ach, das Leben war schön, voller Abenteuer und Verheißungen. Und eine davon hieß Patrick O’Driscoll und hielt sich bereits irgendwo in Cork auf, vermutlich ähnliche Gefühle im Herzen. Sie hätte laut aufjubeln können, unterdrückte dies allerdings angesichts der arbeitenden Männer. Die hätten es wohl kaum verstanden.
Endlich legte das Fährboot ab und warf sich in eine flach gehende Dünung. Sie passierten Bird Island. Vom benachbarten Bullig-Reef war an einem solch ruhigen Tag nichts zu sehen, kein Schaum von Brechern, kein besonders Wellengekräusel – die ideale Falle für einen unbedarften Skipper. Und sicher war sie bei ähnlich ruhigem Wetter in der Vergangenheit des Öfteren zugeschnappt und hatte so manche Reise jäh und tödlich enden lassen. Brighid erschauerte bei dem Gedanken. Natürlich konnte das einem Caper kaum passieren, er kannte das Gewässer von Kindsbeinen an. Und auch heute steuerte John O’Driscoll das Schiff mit traumhafter Sicherheit genau im richtigen Abstand an dem tückischen Unterwasserfelsen vorbei, den sie jetzt wie den Rücken eines Wals unter der ruhigen Wasserfläche als dunklen Schatten an Backbord vorüberziehen sah. An Steuerbord flatterten ein paar Vogelschwärme von Bird Island auf, warfen sich in die Luft und beschwerten sich krächzend über die Störung durch den blubbernden Schiffsmotor.
Nach dem Anlegen an der kleinen, durch eine hohe Mauer gegen die von See anstürmenden Brecher geschützten Pier hatte Brighid großes Glück. Wie konnte es an einem solchen Tag auch anders sein. Sie bekam vor der Kneipe von „Lister’s“ einen Lift, ein Auto, zu fassen, das sie mitnahm. Der Privatwagen brachte sie nach Skibereen. So erwischt sie sogar noch den Frühbus nach Cork.
Jetzt hatte sie erst recht das Gefühl, endlich ihrem Geliebten entgegen zu fliegen, denn der Fahrer gab, so konstatierte sie begeistert, Gas wie eine gesengte Sau. Ihr war es recht. Patrick hatte ihr schließlich versichert, dass er regelmäßig zur Station pilgern und sie also in jedem Fall erwarten würde. Wieder war sie versucht, laut zu jubeln.
Zuerst wollte sie die Bilder zum Entwickeln bringen und den Vater wie versprochen anrufen. Dann stand dem heimlichem Vorhaben nichts mehr im Wege. Vor der Rückfahrt wollte sie schnell den Brief mit den Schwursteinfotos einwerfen.
Mein Gott, noch vor einer Woche hätte sie das alles nicht für möglich gehalten und nun war es schiere Wirklichkeit. Verstehe einer die Menschen und vor allem sich selbst! Ihr Herz pochte wie wild, ihr Körper schien zu glühen.
Nein, so hatte sie sich das Verliebtsein beileibe nicht vorgestellt. Aber gleichwohl genoss sie dieses süße Verlangen, das unbekannte, erregende Prickeln, den Aufruhr ihres Herzens. In diesem Augenblick wäre sie Patrick ohne Bedenken bis ans Ende der Welt gefolgt.
Als der Bus endlich in Cork eintrudelte, äugte sie
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