Gesichter im Nebel (German Edition)
Bucht und spritzte an der kleinen Steinpier hoch.
Die jähe Sturmwalze wehte Paddy und Xirian den kalten Salzschaum ins Gesicht. Sie merkten es kaum, so waren sie von diesem Schauspiel einer entfesselten Natur und der Macht dieser verdammten Hexe aus der grauen Vorzeit der einsamen Insel im Atlantischen Ozean gefangen.
Es war, als ob sie für Sekunden in eine zeitlose, unwirkliche Welt eintauchten, in der die gewohnten Gesetzmäßigkeiten ihre Kraft verloren, überirdische Mächte auf sie einwirkten.
Dann war der Spuk auch schon so plötzlich, wie er gekommen war, vorbei. Unschuldig lächelte das Gesicht des Mondes am Nachthimmel, als wäre nichts geschehen. Das Wasser glänzte wieder in trügerischer Ruhe.
„Donnerkeil“, flüsterte Paddy, „hätte ich es nicht selbst erlebt, ich würde es nicht glauben!“
„Ja“, stimmte der Blinde leise und ehrfurchtsvoll zu, „es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir kleinen Menschlein nicht einmal zu träumen vermögen, die aber ganz offensichtlich dennoch und meist außerhalb unserer Wahrnehmung vorhanden sind. Unsere Altvorderen, sie hatten dafür noch ein Gespür, bevor die Moderne darüber hinwegbrauste und uns alle der Natur und ihren Geistern entfremdet hat. Die alten Kelten hatten immer einen Austausch mit der Anderswelt. Wir können es nicht mehr und wenn, dann nur unvollkommen. Ich habe das all die Jahre gewusst, so wie ich es von meinen Großeltern und Eltern übernommen und in mir bewahrt habe. Aber die neue Zeit hat keine Augen und Ohren mehr für das Übersinnliche, belächelt es gar als Blödsinn und hat so die Nähe zur Natur schließlich ganz verloren. Das ist es, warum die Menschheit sich eines Tages selbst ein Grab gräbt und die Zeichen des Untergangs nicht zu deuten vermag.“
„Was nun?“
Paddy fragte es mit leiser, verzagter Stimme und fuhr nach einer Pause zögernd fort:
„Das ist ein unerhörtes Verlangen! Wir können es nie und niemals erfüllen. Wir sind doch schließlich keine Mörder! Oder? Was denkt sich dieses Biest von einem Satansweib eigentlich? Einfach jemanden von unseren eigenen Leuten opfern, wie denn das? Wir befinden uns doch nicht in der Steinzeit.“
Auch Xirian war sichtlich in sich gegangen, als sie den Heimweg antraten. Schweigend schritten sie nebeneinander hügelan, jeder in seine Gedanken vertieft. Die Gesichter und Schattengestalten aber waren und blieben in dieser Nacht verschwunden, als schämten sie selbst über die maßlose Forderung nach einem Menschenopfer.
Dann hielt der blinde Seher den Schritt an, schöpfte Atem und meinte endlich leise: „Paddy, ich muss darüber nachdenken. Ja, wirklich, das muss ich!“
Der Liebeshandel
„Daddy, ich habe mich verliebt!“ Brighid flüsterte es jubelnd ins Telefon.
Der dicke Postmaster hinter der angelehnten Tür spitzte die Ohren. Natürlich lauschte er wie immer, kleinkarierte Neugier war wie sein sprichwörtlicher Geiz eine seiner herausragenden Charaktereigenschaften. Da unterschied er sich von den meisten Insulanern. Obwohl ihr Eiland so klein war, begegneten sie sich mit erstaunlichem Respekt vor der Privatsphäre des Einzelnen und legten freundschaftliche Hochachtung an den Tag – so, wie sie es selbst dem Außenseiter Paddle gezeigt hatten.
Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen.
„Hast du mich verstanden?“, hakte Brighid nach, die sich endlich ein Herz genommen hatte, ihrem Vater im fernen Dublin die Wahrheit zu gestehen. Einmal musste es ja sein.
„Ja, ja, ich habe das sehr wohl vernommen, mir hat es allerdings erst einmal die Sprache verschlagen! Kleines, weißt du auch wirklich, was du tust? Vielleicht ist es ja nur eine Urlaubslaune!“
Etwas wie Hoffnung schwang in seiner Stimme mit.
„Nein, das ganz gewiss nicht. Es ist mir ernst. Und Daddy, glaube mir, ich bin glücklich!“
„Ja, was soll ich dazu sagen? Du musst es schließlich selbst wissen. Ich jedenfalls bin skeptisch. Das musst du mir nachsehen. Brighid, bedenke, du bist noch keine zwanzig. Ist das nicht ein bisschen überstürzt?“
„Ach Daddy, weißt du, ich kann nichts, aber auch gar nichts dagegen machen. Es sind nun mal, wie die Leute sagen, die berühmten Schmetterlinge im Bauch. War das nicht auch so bei dir und Mama?“
„Hmh, wir waren aber viel älter.“
„Das ist doch kein Argument. Es gibt auch Sechzigjährige, denen so was passiert. Und die sind dann wohl zu alt, oder? Aber, hör’ zu, ich fahre morgen mit der Frühfähre aufs Festland,
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